Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
sein Blick war so scharf und wach, dass sie das Gefühl hatte, er dringe bis in ihre Gedanken vor. Wenn sie Mark zu lange in die Augen sah, meinte sie, Geheimnisse preiszugeben, ohne ein Wort zu sagen.
»Das war köstlich. Jegliche Erinnerung an das Omelette ist aus meiner Erinnerung getilgt.«
»Da bin ich aber froh«, sagte Mark und schenkte ihr Wein nach. Leah trank einen Schluck und spürte, wie der Alkohol sie wärmte und träge machte.
»Und, was hast du als Nächstes vor? Wenn du hier … fertig bist?«, fragte Leah, als das Schweigen zwischen ihnen unbehaglich wurde.
»Wenn ich damit fertig bin, mich hier zu verkriechen und meine Wunden zu lecken, meinst du?« Er zog eine Braue in die Höhe.
»Verkriechen hast du gesagt, nicht ich.«
»Ich weiß es wirklich nicht. Auf Jobsuche gehen, denke ich. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist.«
»Es ist schon Gras darüber gewachsen. Nicht für dich, ich weiß, aber ich hatte ehrlich keine Ahnung, wer du bist, als du mir deinen Namen genannt hast. Ich fand es nur aufregend, dass ich einen Canning gefunden habe.«
»Ja, aber ich habe den Eindruck, dass du in letzter Zeit selbst nicht allzu viel mitbekommen hast. Vom Tagesgeschehen, meine ich. Nimm es mir nicht übel«, bat Mark und hob entschuldigend eine Hand. Leah warf ihm einen Blick zu und ärgerte sich über sich selbst, weil sie offenbar so leicht zu durchschauen war.
»Wie, um alles in der Welt, bist du darauf gekommen?«
»Weil es mir genauso geht.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht hast du recht. Die Geschichte ist sicher schon Schnee von gestern. Es fühlt sich eben nur für mich nicht so an. Aber ich werde das Haus verkaufen. Das habe ich immerhin schon mal beschlossen.«
»Schade«, sagte Leah traurig, im selben Moment ein wenig befremdet von diesem spontanen Gefühl.
»Würdest du mir davon erzählen? Von deiner Kriegsverletzung – warum du manchmal so ein furchtbar trauriges Gesicht machst?«
»Mache ich das?«, fragte sie beiläufig und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
»Das weißt du doch. Komm schon, Leah.« Er neigte den Kopf zur Seite und versuchte, ihren Blick einzufangen.
Leah zuckte seufzend mit den Schultern. »Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen. Ich habe mich letztes Jahr von meinem Freund getrennt. Angeknackstes Herz, noch nicht ganz drüber hinweg, bla, bla, bla …«
»Hat er dich betrogen?«
»Ich will wirklich nicht darüber reden«, erwiderte sie schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Aus irgendeinem Grund fand sie es unerträglich, mit Mark über Ryan zu sprechen. Es weckte in ihr den Drang, aufzuspringen und wegzulaufen oder die Hände vors Gesicht zu schlagen. Aber weshalb sollte sie sich eigentlich schämen? Warum sollte sie diejenige sein, die sich am liebsten irgendwo im Dunkeln einrollen würde, wo niemand sie je wieder sehen oder berühren konnte? Weil ich nichts gemerkt habe. Weil ich eine gottverdammte Idiotin bin, antwortete sie sich selbst. Weil ich ihn immer noch liebe.
»Tja, siehst du? So einfach ist das nicht. Heutzutage soll ja alles dadurch besser werden, dass man es sich von der Seele redet«, murmelte Mark und beobachtete sie aufmerksam.
Leah sah ihn stirnrunzelnd an und überlegte sich ihre Antwort gut. »Ich habe mit Gott und der Welt darüber gesprochen, gleich nachdem es passiert war. Und ja, er hat mit jemand anderem geschlafen, aber es war viel, viel schlimmer, als sich diese paar einfachen Worte anhören. Noch vor einer Weile konnte ich gar nicht aufhören, darüber zu reden, als könnte ich dadurch irgendetwas an der Situation ändern. Aber inzwischen glaube ich, dass es nicht mehr viel darüber zu sagen gibt. Und wenn ich doch darüber rede, dann macht es mich so verdammt wütend.« Mark sagte nichts. Ihrer beider Hände lagen auf dem Tisch, die Fingerspitzen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. »Und was ist mit dir? Hast du dir die Sache mit deinem Bruder von der Seele geredet?« Sobald die Worte heraus waren, bereute Leah sie auch schon, denn Mark fuhr zurück, als hätte sie ihn geschlagen. »Es tut mir leid«, stieß sie hastig hervor. »So hätte ich das nicht sagen sollen. Das ist eine völlig andere Geschichte, ich weiß.«
»Woher willst du das denn wissen?«, fragte er – traurig, nicht wütend. »Wie könnte irgendjemand etwas darüber wissen? Ich hatte keine Vorstellung davon, bis ich es selbst durchgemacht habe.«
»Du hast recht. Ich weiß gar nichts«, sagte Leah zerknirscht.
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