Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
Männer sprechen wieder, erst ganz hoch und durchdringend, dann tief, erst hastig und dann wieder ruhiger. Pst, nicht so laut, denkt sie . Allmählich beruhigen sich die Stimmen und verschmelzen zu einer, die schrill klingt vor Angst und Fassungslosigkeit.
    »O Gott, was hast du getan? Was hast du getan?« Sie kennt diese Stimme und bemüht sich, sie zuzuordnen. Ein schönes Gesicht, aber auch grausam, und lachende Augen. Robin . Sie versucht ihn zu fragen, was geschehen ist, wo sie sind. Warum ihr Kopf so wehtut und ihre Augen blind sind und ihr Mund voller Blut ist – es schmeckt salzig und nach Eisen. »Albert! Du hast sie umgebracht! Du hast … du hast sie ermordet! Albert!« Noch mehr Worte. Ihre Bedeutung treibt langsam zu Cat herab, durch dicke Schichten aus Schmerz und Verwirrung. Jetzt versteht sie gar nichts mehr. Wer ist ermordet? Ich bin nicht ermordet!, sagt sie, doch die Sätze bleiben in ihrem Kopf. Sie kann die Lippen nicht bewegen, ihre Zunge nicht dazu bringen, die Worte zu formen. Dieser Ungehorsam macht sie wütend. Sie versucht, tief Luft zu holen und alle Kraft zusammenzunehmen, um sich aufzusetzen, doch ihre Kehle ist plötzlich verstopft, und alles ist zu schwer, tut zu weh. Ihr Kopf ist aus Stein und erdrückt sich langsam mit seinem eigenen Gewicht.
    Eine Weile schweigen die Stimmen. Es hätten Sekunden, Minuten, Jahre sein können. Cat weiß es nicht. Sie treibt dahin, auf und nieder. Die Sonne berührt ihr Gesicht, und sie glaubt, es sei das Feuer, das sie geschürt hat, um ihre Mutter warm zu halten, als sie starb. Das Schweigen dröhnt in ihrem Kopf, es wummert wie eine riesengroße Trommel, immer wieder. Das ist ihr Herzschlag – sie spürt seinen Druck in den Ohren. »Himmel … sie … man darf sie nicht finden, Albert. Wir dürfen kein Wort darüber verlieren! Sonst ist alles verdorben. Nimm das, nimm das Kleid – Albert! Hör mir zu! Alles wird wertlos sein, vernichtet … unsere ganze Arbeit … Albert!« Da ist die Stimme wieder, schnell und hektisch, voller Angst und zitternd in wilder Verzweiflung. Grobe Hände bewegen sie, zerren an ihr herum. Hände, die vor Panik beben. Sie wird herumgeschubst, jemand zieht an ihrem Haar. Sie will protestieren, will in Ruhe gelassen werden. Jede Bewegung ist die reinste Folter, sie treibt lange Stacheln aus Schmerz in ihren Schädel, noch schlimmer als die Magensonde in Holloway, als der Schlauch am zehnten Tag in Folge durch ihre geschwollene, blutende Nase gezwängt wurde. Sie muss zu George. Er wird sie alle davonjagen, er wird sie beschützen, vor diesen Händen und diesen Stimmen. Er wird ihr helfen, sich aufzurichten, zu husten und den Hals frei zu bekommen. »Albert! Nimm das. Oh, gütiger Gott … ihr Gesicht , Albert. Nimm die Sachen – nimm sie! Geh nach Hause und sag kein Wort. Hörst du? Albert? Sag kein Wort!«
    Cat wird hochgehoben. Einen Moment lang hat sie das Gefühl zu fliegen, doch dann wird sie wieder durchgerüttelt, und der Schmerz vernebelt alles. Die Zeit ist verschwunden, sie hat keine Bedeutung mehr. Die Stimme klingt jetzt anders. Gequält, hustend, so erstickt, wie sich ihre Kehle anfühlt. »Oh, Cat … Cat. Ach Gott …« Sie hört, dass er weint. Lass mich runter!, verlangt Cat stumm. Allmählich wird ihr bange. Sie will aufstehen, die Augen öffnen. Das Dröhnen in ihren Ohren wird immer leiser, und das sollte eine Erleichterung sein, ist es aber nicht. Ist es nicht. George!, versucht sie zu schreien. Hilf mir. Bitte! Der Atem des Theosophen ist jetzt nur noch ein raues Keuchen, sie wird schneller und heftiger durchgerüttelt. Ein flüsternder Laut ist zu hören, ein sanftes Rauschen. Bäume? Der Kanal? Robin stöhnt und schluchzt. »Es tut mir so leid, Cat!«, sagt er immer wieder. »Es tut mir so leid.« Jetzt bekommt Cat Angst, schreckliche Angst. Mit so brutaler Willenskraft, wie sie sich selbst gar nicht zugetraut hätte, öffnet sie das linke Auge. Licht taumelt herein und dringt in ihren Verstand. Bäume, der Kanal, die Brücke am Ende der Wiese, wo die Straße das Wasser überquert. Wie sind sie hierhergekommen? In der Ferne sieht sie eine so vertraute, so geliebte Gestalt. George! , schreit sie lautlos. Er rennt den Treidelpfad entlang auf sie zu, schnell und verzweifelt. Dann ist sie im Wasser und spürt, wie es über ihrem Gesicht zusammenschlägt. Einen Augenblick lang lindert es den Schmerz und hüllt sie in kühle, grüne Dunkelheit. Sie atmet nicht, das braucht sie gar nicht mehr. Sie ist

Weitere Kostenlose Bücher