Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
ganz ruhig. George kommt. Er wird ihr helfen, sie beschützen, sie herausholen und mit ihr fliehen. Sie wartet, und tatsächlich fühlt sie seinen Arm um sich, die vertraute Kraft, die harten Muskeln an den kräftigen Knochen. Sie wird hochgehoben, und die Welt ist wieder hell und grell und dreht sich. Sie würde so gern die Augen öffnen und ihn ansehen, würde so gern lächeln. Denn sie spürt ein Lächeln im Herzen, jetzt, da er sie festhält. Sie ist in Sicherheit. Das Dröhnen in ihren Ohren setzt immer wieder aus und hört dann ganz auf. Sie lässt es los, und dann ist nichts mehr da. Nicht einmal Dunkelheit.
    Hester setzt sich an ihren Frisiertisch, starrt in den Spiegel und versucht irgendwie, mithilfe von Puder und Rouge, die Verderbtheit zu überdecken, die ihr ins Gesicht geschrieben steht. Sie sieht sie in jedem ihrer Züge, in jedem einzelnen Haar auf ihrem Kopf, den winzigen, feuchten Enden ihrer Mundwinkel, dem Bogen zwischen Unterlippe und Kinn, in der Lücke zwischen ihren Brauen, wo sich eine dünne Falte gebildet hat. Die ehebrecherische Berührung des Theosophen hat überall ihre Spuren hinterlassen. Es ist ihr ein Rätsel, wie Albert, und auch alle anderen, das nicht sehen können. Aber Albert nimmt ja gar nichts mehr wahr. Nur noch Feen und Robin Durrant. Ihre Augen sind verquollen, weil sie in der Nacht wieder einmal lange geweint hat. Hester überlegt kurz, nach Cat zu rufen, damit sie ihr ein paar Gurkenscheiben für ihre Augenlider bringt, doch sie kann sich nicht dazu überwinden. Sie will sich dem wissenden Blick des Mädchens nicht stellen, dessen schwarze Augen so klar sehen. Sie kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass Cat ihr ihre Schuld ansehen wird – sie augenblicklich erkennen und Hester für das verachten wird, was sie getan hat. Dieser Gedanke ist unerträglich. Denn immerhin hat Cat sie gewarnt – Cat hat ihr gesagt, dass sie dem Mann nicht trauen könne und ihn so rasch wie möglich loswerden solle. Stattdessen hatte sie zugelassen, dass er sie benutzte und verführte, dass er ihr die Jungfräulichkeit nahm, die sie so lange für Albert bewahrt hatte. So lange. Ihr Blick verschwimmt, und sie kann sich nicht weiterschminken, weil sie nichts mehr sieht. Welches Recht hätte sie auch, ihre Hässlichkeit zu verbergen? Die Hässlichkeit dessen, was sie getan hat. Energisch reibt sie sich die Augen und steht auf, um hinunterzugehen.
    Als Hester den Fuß auf die unterste Treppenstufe setzt, hält sie plötzlich inne. Ihr ist sofort klar, dass etwas nicht stimmt, dass irgendetwas anders ist. Als liege ein seltsamer Geruch in der Luft, als sei eine Uhr, die ticken sollte, auf einmal still. Sie bleibt stehen, lauscht und versucht, die Ursache für dieses Gefühl zu ergründen. Mrs. Bell klappert in der Küche mit dem Frühstücksgeschirr, so leise sie kann – die Geräusche dringen durch die Bodendielen herauf. Die Standuhr in der Halle tickt so tief und bedächtig wie eh und je. Die Tür zur Bibliothek ist geschlossen. Durch das Bleiglasfenster über der Haustür fällt Licht herein, nicht jedoch vom Esszimmer oder aus dem Salon. Hinter den offenen Türen dieser beiden Räume ist es dunkel, und das ist es, was Hester als so ungewohnt empfindet – tatsächlich kann sie sich nicht erinnern, sie je morgens so gesehen zu haben. Sie späht erst in den einen, dann in den anderen Raum, und in ihrem Magen beginnt es zu kribbeln, als sie das Fenster im Salon sieht. Die Läden sind noch fest geschlossen. Sie lauscht mit angehaltenem Atem. Abgesehen von den Geräuschen aus der Küche, ist es vollkommen still im Haus. Stiller als gewöhnlich, meint sie, aber sicher ist sie sich nicht. Cat bewegt sich stets auf leisen Sohlen, wie eine echte Katze. Hester geht zur Kellertreppe und hinunter in die Küche.
    »Guten Morgen, Mrs. Bell«, sagt sie. Die Haushälterin nimmt gerade einen dampfenden Kessel vom Herd und setzt eine Kanne Tee an.
    »Morgen, Madam«, entgegnet Sophie, stellt den Kessel hin und wischt sich die Hände an der Schürze ab. »Wie geht es dem Pfarrer? Ist alles in Ordnung?«
    »Ja – nun, das heißt, ich habe Albert heute Morgen noch nicht gesehen. Weshalb fragen Sie?« Hester runzelt leicht die Stirn. Sie spürt, wie die Haushälterin ihr Gesicht mustert – die bleiche Haut, die dunklen Schatten unter ihren Augen. Hester wendet beschämt den Blick ab.
    »Ich dachte, er hätte sich vielleicht an irgendetwas geschnitten – als ich vorhin herunterkam, habe ich dieses

Weitere Kostenlose Bücher