Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Averys Kreis ausgeschlossen zu werden. Deshalb ist Hester stets bemüht, sich deren Wohlwollen zu erhalten, und sucht ihre Gesellschaft. An Abenden, da Mrs. Dunthorpe anwesend ist, kostet sie das keinerlei Überwindung.
Mrs. Dunthorpe ist eine untersetzte und vollbusige Frau mit Haar in einem verblassten Braunton und ebenso verblasst wirkenden blauen Augen. Sie ist etwa fünfzig Jahre alt und erst recht spät im Leben zu Wohlstand gelangt – so spät, dass sie den näselnden Dialekt der Thatchamer Gegend nicht mehr loswird, sosehr sie sich auch bemüht. Ohne ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten wäre sie womöglich nicht so oft bei Mrs. Avery zu Gast gewesen. Nun jedoch sitzt sie stolz auf einem damastbezogenen Sessel im Salon, während die anderen Gäste eintreffen, und wird von diesen mit etwas weniger Ehrerbietung begrüßt als die Gastgeberin, dafür jedoch mit umso größerer Begeisterung.
»Mrs. Dunthorpe, ich hatte ja so sehr gehofft, dass Sie kommen würden! Werden Sie uns heute Abend zum Zirkel bitten? Werden wir denn etwas von den Geistern hören?«, fragt die zierliche Esme Bullington mit ihrem schwachen Stimmchen flüsternd und ergreift beide Hände der älteren Frau.
Mrs. Dunthorpe lächelt ein wenig geheimnisvoll. »Nun, meine Liebe, das hängt natürlich ganz von den Wünschen unserer charmanten Gastgeberin ab. Aber falls sie einver standen ist und die Gesellschaft es wünscht, könnte ich selbstverständlich einen Vorstoß in die Welt des Unsichtbaren anführen«, sagt sie so laut, dass es alle hören und Mrs. Avery ein finsteres Gesicht macht.
»Vielleicht warten wir zumindest, bis alle eingetroffen sind und ein Gläschen Sherry getrunken haben?«, schlägt Mrs. Avery recht kühl vor. Mrs. Dunthorpe scheint die Zurechtweisung gar nicht wahrzunehmen, aber Esme Bullington zieht sich mit zwei roten Flecken auf den Wangen von dem Medium zurück.
Hester macht höflich einmal die Runde durch den Salon, ehe sie bei ihrer lieben Freundin Claire Higgins stehen bleibt, deren Mann einer der bedeutendsten Landwirte von Cold Ash Holt ist. Insgesamt sind dreizehn Damen versam melt: eine verheißungsvolle und sorgsam arrangierte Zahl. Sie nippen Sherry aus Kristallgläsern, und bald sind ihre Gesichter unter dem hellen Puder gerötet, ihr Lachen wird freimütiger, und die Lampen scheinen mit ihrem schimmernden Licht die Konturen im Raum zu verwischen und lassen Satinbänder und Augen noch strahlender glänzen. Die gespannte Erwartung gleicht einem tiefen, leisen Summen – man kann nicht genau bestimmen, woher es kommt, es aber unmöglich ignorieren. Als Mrs. Avery schließlich befindet, sie hätten der gepflegten Geselligkeit Genüge ge tan und bewiesen, dass die Gesellschaft und das Wohlwollen ihrer Gastgeberin das Wichtigste an diesem Abend sind, räuspert sie sich dezent.
»Mrs. Dunthorpe. Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich einem Versuch gewachsen, Kontakt zu den Geistern aufzunehmen?«, fragt sie. Die anderen Frauen verstummen auf der Stelle und beobachten die matronenhafte Mrs. Dunthorpe genau, während diese sehr sorgfältig zu überlegen scheint.
»Ich glaube, wir könnten heute Abend recht erfolgreich sein«, verkündet sie schließlich, was mit aufgeregtem Raunen und einem unterdrückten Freudenschrei von Esme Bullington aufgenommen wird.
Gespannt eilen die Damen zu einem großen, runden Tisch am anderen Ende des Salons, um den dreizehn mit rotem Samt bezogene Stühle aufgestellt wurden. Mrs. Dunthorpe bittet sie, sich möglichst dicht an den Tisch zu setzen, die Unterarme darauf zu legen und einander fest an den Händen zu halten. Hester hat Esme Bullingtons zartes Händchen in der einen und die trockenen, runzligen Finger der alten Mrs. Ship in der anderen Hand. Während sie sich unterhalten und Sherry getrunken haben, ist draußen ein frischer Wind aufgekommen, der wie fernes Wispern klingt. Er lässt die knospenden Zweige der Glyzinie am Fenster kratzen und gegen die Scheibe klopfen, als bäte jemand mit suchenden Fingerspitzen um Einlass. Da der Tag so warm war, sind die Vorhänge noch nicht zugezogen, und das Fens ter steht zwei Fingerbreit offen. Doch die Temperatur ist stark gesunken, und die hereinwehende Brise ist empfindlich kühl. Noch ist es nicht ganz dunkel draußen, doch hin ter den Spiegelbildern im Fensterglas sind nur der dunkelgraue Himmel mit aufgedunsenen Wolken und die knorrigen Zweige der alten Mispel im Garten zu erkennen. Hester erschauert unwillkürlich und spürt,
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