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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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ernst. Mittlerweile befürchte ich, dass mit Albert etwas nicht stimmen könnte. In körperlicher Hinsicht, meine ich – natürlich niemals mit seinem Herzen oder seinem Charakter. Erst gestern Nachmittag fuhr ich von der Schule nach Hause, und als wir an John Westcotts Farm vorbeikamen, erblickte ich seinen Hengst, der soeben eine Stute »deckte« – ich glaube jedenfalls, dass man so diesen natürlichen und notwendigen Vorgang bezeichnet. Westcotts Töchter schnitten gerade Gras für ihre Schweine am Straßenrand und knicksten ganz entzückend vor mir, doch ich muss gestehen, dass meine Aufmerksamkeit ganz von dem Spektakel hinter ihnen gefesselt war. Äußerst anstößig von mir, gewiss, und ich hätte mich zweifellos davon abwenden sollen, aber solche Einblicke in die Natur sind ganz alltäglich, wenn man auf dem Lande lebt. Nicht eine Sekunde lang würde ich meinen geliebten Ehemann mit einem Bauerngaul vergleichen, doch ich kann nur davon ausgehen, dass der körperliche Aufbau der meisten Geschöpfe sich auf allerunterstem Niveau – zumindest im Grunde – ähnelt. Oder irre ich mich auch darin? So. Mehr werde ich zu dieser Angelegenheit nicht sagen, denn ich erröte und fühle mich wie eine schändliche Verräterin, während ich Dir dies schreibe, dabei bist Du mein eigen Fleisch und Blut! Falls Du durch irgendeinen zufälligen Gnadenakt verstehen solltest, was ich mit diesem Vergleich meine, dann wäre mir Deine Erklärung wie immer höchst willkommen, liebe Schwester.
    Cat Morley bereitet mir ebenfalls Sorgen. Sie ist nach wie vor schrecklich dünn und sieht immer müde aus. Anscheinend spricht ihre Konstitution so gar nicht auf das gesunde Leben hier an, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, wie ein Körper dieser wohltuenden Umgebung widerstehen könnte. Vielleicht liegt ihrem Zustand ein tieferer Aspekt zugrunde, den ich noch nicht entdeckt habe, irgendeine Verderbnis, die tiefer sitzt, als ich ahne. Ich habe Sophie Bell gebeten, nachts nach ihr zu sehen und festzustellen, ob sie schläft, doch anscheinend schläft Sophie selbst so tief, dass es ihr schwerfällt, aufzustehen und nach dem Mädchen zu schauen. Was sie in den langen, dunklen Nachtstunden tun könnte, statt zu ruhen, kann ich mir kaum vorstellen. Der Gedanke ist überaus beunruhigend. Außerdem habe ich von Sophie erfahren, dass sie kaum etwas isst und die Mahlzeiten gelegentlich unterbricht, weil sie von einer Art Krampf oder Übelkeit gepackt wird. Ich muss dieser Sache auf den Grund gehen. Wenn ich mich nach ihrer Gesundheit erkundige, behauptet sie stets, es gehe ihr gut, und die Infektion der Lunge, die sie sich in London zugezogen hatte, bessere sich beständig. Was macht man nur mit einem Menschen, der krank ist, es aber nicht zugeben will? Ich tue mein Bestes, damit sie sich hier wohlfühlt, aber das ist nicht immer so einfach, wie es sein sollte. Sie erinnert mich oft an einen Falken – einen kleinen, wilden, grimmigen Vogel wie einen Zwerg- oder Baumfalken.
    Nun, ich sollte diesen Brief jetzt beenden und alles für Mr. Durrants Ankunft vorbereiten. Natürlich werde ich Dir in ein paar Tagen wieder schreiben, um Dir von ihm zu berichten, doch ich hoffe, Du wirst mir verzeihen, falls mein Brief sich verzögern sollte – ich werde ganz von den Vorbereitungen für unsere Krönungsfeier in Anspruch genommen. Heute in einer Woche, und wir haben noch immer nicht genug Fahnenstoff. Das Ganze ist recht aufwendig geworden. Ich denke schon, dass wir letztendlich alles bewältigen werden, doch dies ist wirklich kein günstiger Zeitpunkt für einen Hausgast. Der arme Bertie – Männer ahnen nichts von solcherlei Dingen, nicht wahr?
    Schreib mir bald, liebe Amelia, und sofern Du es ertragen kannst, widme Deine Gedanken meiner Frage zu dem Pferd. Wie schrecklich, von so etwas zu schreiben!
    Deine Dich liebende Schwester
Hester

1911
    Es ist noch nicht annähernd Mittagszeit, als ein forsches Klopfen an der Tür Cat aus ihren träumerischen Gedanken reißt. Den ganzen Vormittag lang war sie schon abgelenkt, und ihr Blick schweift immer wieder durch die Fenster des Flurs, die sie mit zusammengeknülltem Zeitungspapier putzen soll, in die Ferne. Gedanken an George Hobson lenken sie so von der Arbeit ab. Sie hat ihn am Abend zuvor wiedergesehen und so viel Bier mit ihm getrunken, dass sich ihr der Kopf drehte und sie innerlich glühte. Jetzt dreht sich ihr Kopf immer noch, ihr ist flau im Magen, und hinter ihren Augen pocht beständig ein

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