Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
versichere Ihnen, dass ich nicht …«
»Lassen Sie’s einfach. Ich habe in den letzten drei Monaten schon jeden verdammten Vorwand von Ihren Leuten gehört. Verschwinden Sie von meinem Grundstück. Sind Sie allein, oder darf ich jetzt damit rechnen, dass ganze Horden von euch hier auftauchen?«, fragte er kalt.
»Nein, nein – nur ich bin hier. Ich …«
»Gut. Sorgen Sie dafür, dass es dabei bleibt. Und jetzt verschwinden Sie gefälligst .« Der Mann betonte jedes Wort mit wütendem Nachdruck. Er schlug ihr die Tür vor der Nase zu, und Leah blieb wohl noch eine halbe Minute lang davor stehen, zu verblüfft, um sich zu rühren.
Ihr Blut summte vor Empörung, und die Wut verursachte ihr leichte Kopfschmerzen in den Schläfen. Deshalb klopfte sie schließlich noch einmal, so laut sie konnte, und ziemlich ausdauernd. Doch es kam keine Reaktion von dem Mann mit den grauen Augen oder von sonst jemandem, der vielleicht da war, und von drinnen war kein Laut zu hören. Ein heftiger Regen setzte ein und zwang Leah zum Rückzug. Sie kehrte zu ihrem Auto zurück, holte ihr Notizbuch her vor und schrieb mit ironisch schwungvollen Schnörkeln Eingeborene feindselig auf die erste leere Seite. Dann blieb sie eine Weile sitzen und sah den Regentropfen zu, die an ihre Windschutzscheibe klatschten, sich dort sammelten und schließlich hinabrannen. Ryan liebte Regen. Selbst der erinnerte sie an ihn, und sie lebte in einem Land, das berühmt war für seinen Regen. Sie dachte daran, wie dem toten Soldaten das nasse Haar am Schädel geklebt hatte. Wie viel Regen mochte auf seinen Leichnam gefallen sein, während er all die Jahre unentdeckt dort gelegen hatte? Sie stellte sich vor, wie die Tropfen Haut kitzelten, die nicht mehr spüren konnte, Kleidung durchtränkten und zu einem Körper vordrangen, der nicht mehr zittern konnte. Energisch verbannte sie diese Gedanken aus ihrem Kopf. Sie wollte nicht, dass der Tote noch in ihren Träumen auftauchte.
Sie fuhr zurück zur Hauptstraße und folgte dann der A4 nach Thatcham. Dort stellte sie den Wagen ab, spazierte eine Viertelstunde herum und kam rasch zu dem Schluss, dass sie in keinem der Pubs in diesem kleinen Ort übernachten wollte. An der Straße mit den meisten Geschäften, genannt The Broadway, reihten sich die Läden von Billig- Ketten und winzige Bankfilialen aneinander. Leute mar schierten tapfer durch den immer heftigeren Regen, Gesichter und Blicke gesenkt, und wichen schicksalsergeben den schmierigen Pfützen aus. So trübselig konnte wirklich nur eine Kleinstadt am matschigen Ende des Winters aussehen. Aber es gab eine altmodische Buchhandlung, in der Leah eine angenehme halbe Stunde damit zubrachte, sich umzuschauen und dabei ein wenig zu trocknen. Sie kaufte zwei Bücher über die Geschichte der Gegend, und die Dame an der Kasse empfahl ihr eine Unterkunft, einen Pub namens The Swing Bridge, auf halbem Weg zurück nach Cold Ash Holt in einer Nebenstraße am Kanal. Leah folgte ihrem Rat und bekam ein Zimmer, üppig ausgestattet mit schwerem Chintz und dicken Kissen. Aber es war warm und bot eine weite Aussicht über die regennassen Flussauen im Osten. In der Ferne, durch eine Reihe schmaler Pappeln hindurch, glaubte Leah, den Turm der Kirche von Cold Ash Holt auszumachen. Sie kochte sich eine Tasse Tee vom Teetablett auf ihrem Zimmer, setzte sich ans Fenster und hing ihren Gedanken nach.
Im Swing Bridge Pub saßen hauptsächlich Einheimische in Gruppen an der Bar zusammen oder auf Bänken an klebrigen Holztischen. Jeder Neuankömmling wurde mit einem freundlichen Nicken und leisen Worten im gedehnten Dialekt begrüßt. Leah kam um acht zum Abendessen herunter und wurde in den Restaurantbereich geführt, der in einem kälteren und scheußlich leeren, offenen Nebenraum lag. Sie bekam einen Tisch, der für zwei Personen gedeckt war, und setzte sich so hin, dass sie zumindest zur Bar hinüberschauen konnte. Der leere Raum hinter ihr verursachte ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Nacken. Sie bestellte Fish and Chips und wünschte, sie hätte ein Buch mitgebracht, an dem sie sich festhalten konnte. Sie hatte vage daran gedacht, sich zu ein paar Einheimischen zu setzen und sich Geschichten über den Ort erzählen zu lassen. Doch ihre Ge spräche wirkten zu persönlich, die Gruppen so geschlossen, dass Leah auf einmal zu schüchtern war, um sich zu ihnen zu gesellen. Die vielen Gräten in ihrem Fisch boten immerhin Beschäftigung.
Als sie wieder aufblickte, stellte sie
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