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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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überrascht fest, dass sie nicht mehr die Einzige war, die allein dasaß. Mit unbequem abstehenden Knien balancierte der Mann aus dem Alten Pfarrhaus auf einem Barhocker. Obwohl sie ihn nur kurz im Halbdunkel gesehen hatte, war sie sicher, dass sie sich nicht täuschte. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seine Jacke auszuziehen – einen unförmigen, verwaschenen grünen Anorak – und trug einen dunkelblauen Hut tief in die Stirn gezogen. Ganz der lässige Nachbar, dachte Leah. Doch dann fiel ihr Blick auf seine Füße: Seine Stiefel waren aus feinem braunen Leder, die Schnürsenkel fest um solide Messinghaken gezogen. Sie waren zu sauber und zu teuer. Leahs Neugier wuchs. Der Mann versuchte ganz offenbar, nicht aufzufallen, ja nicht erkannt zu werden. Allerdings sah sie mehr als einen Blick in seine Richtung huschen, gefolgt von gemurmelten Bemerkungen. Der Mann starrte resolut auf den Zapfhahn vor ihm und trank sein Bitter mit sturer Entschlossenheit.
    Leah konnte nicht widerstehen. Als der Mann sein Glas ausgetrunken hatte, stand sie rasch auf und fing ihn auf dem Weg zur Tür ab.
    »Na, hallo«, sagte sie fröhlich. Der Mann sah sie verblüfft an und runzelte die Stirn, als er sie schließlich erkannte. Er versuchte, an ihr vorbeizugehen, doch sie tat ebenfalls einen Schritt zur Seite. »Wir haben vorhin irgendwie aneinander vorbeigeredet, und es tut mir leid, falls ich Sie gestört haben sollte. Ich heiße Leah Hickson, wie gesagt. Und Sie sind?« Sie streckte ihm die Hand hin. Er schaute verächtlich darauf hinab und ergriff sie nicht.
    »Sie wissen verdammt genau, wer ich bin. Jetzt gehen Sie bitte aus dem Weg und lassen Sie mich in Ruhe – ist es denn zu viel verlangt, wenn ich am Freitagabend mal ein Bier trinken will, ohne verfolgt zu werden?«, sagte der Mann mit gepresster Stimme.
    »Ich versichere Ihnen, dass ich nicht die leiseste Ahnung habe, wer Sie sind«, fiel Leah ihm ins Wort. »Und ich bin Ihnen nicht gefolgt – ich habe mir für ein paar Tage ein Zimmer hier genommen. Das warme Frühstück soll hervorragend sein.«
    »Na, wunderbar. Sie sind also rein zufällig hier abgestiegen. Was soll das werden? Wollen Sie mir auch die Chance geben, meine Version der Geschichte zu erzählen? Das habe ich alles schon oft genug gehört!«, fuhr der Mann sie an. Seine Kiefermuskeln waren verkrampft, und Leah fiel plötzlich auf, wie erschöpft er aussah. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und müde Fältchen um die Mundwinkel.
    »Hören Sie, ich enttäusche Sie nur ungern, aber ich weiß wirklich nicht, wer Sie sind. Offensichtlich sind Sie nicht so berühmt, wie Sie glauben. Ich bin Journalistin, ja, aber ich arbeite an einer Story über einen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Ich bin in Cold Ash Holt, weil ich Informationen über ihn suche. Er hatte Verbindungen zum Pfarrhaus – deshalb habe ich bei Ihnen angeklopft. Was auch immer Sie getan haben mögen oder auch nicht – tut mir leid, das interessiert mich wirklich nicht. Außer, es nützt mir dabei, mehr über meinen Soldaten herauszufinden, und das glaube ich kaum.« Eine lange Pause entstand, während der Mann ihre Worte anscheinend überdachte. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Erleichterung, Ungläubigkeit und Ärger.
    »Und Sie wollen wirklich nicht bloß …« Er verstummte und machte mit einer Hand eine drehende Geste, die sie nicht verstand.
    »Ich sage Ihnen die Wahrheit. Und falls Sie Zeit haben und sich mal einen Moment lang entspannen können, würde ich Ihnen gern noch ein Bier ausgeben und Ihnen ein paar Fragen über das Pfarrhaus stellen.« Der Mann starrte sie einen Augenblick lang an und rieb sich dann mit den Fingern der linken Hand kräftig die Augen, wie er es schon vorhin an seiner Haustür getan hatte. Ein nervöser Tick oder vielleicht ein Anzeichen tiefer Müdigkeit.
    »Na gut. Sicher. Wenn es wirklich so ist, wie Sie behaupten«, gab er nach.
    »Es ist so«, versicherte Leah ihm ein wenig belustigt. »Setzen wir uns an den Kamin – ich habe im Nebenraum zu Abend gegessen, und da kommt man sich vor wie in einem Mausoleum.«
    Die angriffslustige Haltung rann förmlich aus dem Mann heraus wie Wasser durch ein Sieb. Er sank in einem Sessel am Kamin zusammen, und Leah beobachtete ihn verstohlen durch den Spiegel hinter der Bar, während sie auf ihr Bier wartete. Doch sie hätte sich gar nicht so vorsichtig bemühen müssen, ihn nichts merken zu lassen, denn er starrte in die Luft zwischen seinen Knien und zupfte

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