Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
sehr tiefsinnig – ein Urteil über so viel mehr, als Sophie Bell ahnen kann.
Am frühen Abend setzt endlich der Regen ein. Eine dicke Wolkendecke lag schon den ganzen Nachmittag lang drü ckend schwül über dem Haus und wurde immer dunkler und schwerer. Um halb sechs fallen die ersten Tropfen, so warm wie Badewasser und weich wie geschmolzene Butter. Cat serviert das Abendessen, angewidert von all dem Luxus, dem Übermaß. Mit blasierter, ach so frommer Miene lehnt der Theosoph das Fleisch ab. Wie viele andere Menschen auf der Welt hätten dieses Fleisch bitter nötig?, fragt sich Cat. Jetzt wird es in die Küche zurückgehen, wo es verdirbt und dann weggeworfen wird, vergeudet, weil die Kühlkammer mit dem Spielzeug dieses gedankenlosen jungen Mannes belegt ist. Sie reißt die Teller vom Tisch, mit geschürzten Lippen und gerunzelter Stirn. Und später, als alle Arbeit getan ist, schlüpft sie hinaus in den prasselnden Regen und wird augenblicklich bis auf die Haut durchweicht. Sie holt das Fahrrad des Pfarrers aus dem Schuppen und schiebt es klappernd am Haus vorbei, doch der Regen übertönt die Geräusche. Am Gartentor hält sie inne, schwingt ein Bein über den Sattel, legt den Kopf in den Nacken und lässt den Regen diesen Tag abwaschen und alles, was er mit sich gebracht hat. Ihre Wut hängt wie ein Geruch an ihrer Haut, ein klebriger Gestank, den sie nicht loswird. Es regnet inzwischen so heftig, dass die Tropfen auf ihrem Gesicht beinahe wehtun. Blitze lassen sie Rot sehen – die Innenseiten ihrer Augenlider glühen. Sie kann den Donner in ihrer Brust spüren wie einen zweiten Herzschlag, der ihren Puls unangenehm und holprig beschleunigt. Wenn der Blitz sie jetzt träfe, denkt sie, würde es ihr nichts ausmachen. Sie würde es nicht fühlen. Eine Hand auf ihrem Arm lässt sie erschrocken nach Luft schnappen.
»Schon wieder auf und davon? Bei diesem scheußlichen Wetter?«, fragt Robin Durrant mit erhobener Stimme, um den Regen zu übertönen.
»Was tun Sie hier draußen?«, fragt Cat, verwirrt über sein plötzliches Erscheinen. Er hält sich das Jackett über den Kopf, aber es ist patschnass, Wasser tropft von dem Stoff, rinnt seine Arme hinab und durchweicht sein Hemd.
»Tja, ich wollte Sie in Ihrem Zimmer aufsuchen, aber Sie waren nicht da. Also habe ich angenommen, dass Sie zu einer Ihrer Verabredungen unterwegs sind. Er muss ein großartiger Liebhaber sein, wenn Sie der Versuchung selbst bei diesem Unwetter nicht widerstehen können.« Robin grinst.
»Allerdings ist er das!«, faucht Cat ihn an, doch Robin grinst nur noch breiter. Splitter einer neuen Angst bohren sich in Cats Kopf. Er war in ihrem Zimmer? Wie leise er wohl sein konnte, wenn er vorsichtig war? »Und jetzt lassen Sie mich los.«
»Einen Moment noch. Ich habe Arbeit für Sie. Kommen Sie am Sonntag bei Sonnenaufgang zum Übertritt im Zaun an der Landstraße.« Robin fährt sich mit der Zunge über die Unterlippe und leckt das Regenwasser ab.
»Ganz gewiss nicht!«
»Aber ganz gewiss. Sonst werde ich Ihre abendlichen Ausflüge den Cannings gegenüber erwähnen müssen. Der Pfarrer ist sehr um die Reinheit und Moral seiner Herde bemüht. In seinem eigenen Haushalt wird ihm erst recht daran gelegen sein, würde ich meinen.« Das sagt er leichthin, im Plauderton, beinahe ein wenig gelangweilt. Cat funkelt ihn an und versucht zu ergründen, ob er sie tatsächlich verraten würde, und weshalb er das tun sollte. »Sonntag bei Sonnenaufgang«, wiederholt er und grinst sie an wie ein aufgeregtes Kind, ohne jede Boshaftigkeit – als hätte er ihr nicht gedroht, als übte er keine Macht über sie aus. Cat entreißt ihm ihren Arm und stemmt sich in die Pedale, um von ihm wegzukommen. Durch Regen und Dunkelheit kann sie kaum etwas sehen, und durch die rasende Wut in ihrem Herzen kaum atmen. George ist weg, nicht für sie erreichbar, dennoch fährt sie so schnell sie kann. Das Fahrrad schlingert durch Pfützen die schmalen, steinigen Wege entlang. Nur um vom Pfarrhaus fortzukommen, nur um der Illusion von Freiheit willen.
7
Hester hört den Ponywagen die Einfahrt entlangkommen, und in ihrem Magen flattert es vor kindlicher Freude, gemischt mit etwas, das beinahe Erleichterung gleichkommt. Sie eilt zur Haustür und winkt ihrer Schwester, ihrer Nichte und ihrem Neffen zu, die aus dem Wagen steigen, während Mr. Barker das Gepäck von den Riemen befreit und auf dem Boden stapelt.
»Oh, bitte Vorsicht mit diesem Stück! Es ist
Weitere Kostenlose Bücher