Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
nie davon erzählt habe, Hetty. Ich habe mich zu sehr geschämt … Aber er hat mir versprochen, fest versprochen , dass das nie wieder passieren würde. Jetzt spricht er von seinen Trieben, die befriedigt werden müssten, und er könne eben nicht anders«, sagt sie mit vor Ärger halb erstickter Stimme. »Glaubst du, dass das stimmen könnte? Hältst du es für möglich, dass ein Mann zum Sklaven seiner Begierden werden kann?«
Hester denkt gründlich nach, ehe sie antwortet. Sie nimmt die Hand ihrer Schwester, doch ihrer beider Haut ist heiß und wird bald feucht, wo sie einander berühren. »Ich glaube, jeder Mensch kann ein Sklave seines Begehrens werden, wenn er es zulässt. Muss sich nicht jeder von uns an seinem Verhalten messen lassen – daran, für welche Handlungsweise er sich entscheidet, obgleich ihm andere Möglichkeiten offenstünden?«
»Du hast recht«, antwortet Amelia düster. »Es gibt keine Entschuldigung für das, was er getan hat. Es ist abscheulich.«
»Nun, Amelia, du weißt selbst am besten, dass man mich keineswegs als Autorität bezeichnen kann, was die Bedürfnisse und Begierden von Männern angeht«, sagt Hester mit einem leichten Seufzen. »Archie hat schwer gesündigt, sowohl gegen dich als auch gegen Gott. Aber vielleicht wäre Vergebung die christliche Antwort darauf? Wenn der Schuldige seine Verfehlung bereut, natürlich …«
»Aber das ist es ja gerade, Hetty! Diesmal wirkte er nicht einmal reumütig. Er schien beinahe wütend auf mich zu sein, weil ich ihn mitten in seinem Vergnügen gestört habe! Oh, es war grauenvoll! Unerträglich!« Sie birgt das Gesicht hinter den Fingerspitzen und beginnt leise zu weinen.
»Liebste Amy, bitte weine nicht! Die Kinder dürfen das nicht sehen … Bitte, meine Liebe, verzweifle nicht. Archie liebt dich und die Kinder. Ich weiß , dass er euch liebt, und du weißt es auch. Vielleicht werden Männer tatsächlich von stärkeren Trieben beherrscht als wir Frauen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein guter Mann wie Archie sich andernfalls so verhalten würde. Kann irgendjemand einem anderen Menschen ins Herz schauen? Wahrhaftig? Bitte weine nicht.« Langsam hebt Amelia das Gesicht und tupft sich die Augen mit ihrem Taschentuch trocken.
»Nun, was in meinem Herzen vorgeht, habe ich ihm gesagt. Er tötet meine Liebe mit seiner Untreue. Womöglich wäre ein einziger weiterer Vorfall genug, um sie endgültig auszulöschen, habe ich ihm gesagt.« Hester ist zu schockiert, um etwas zu erwidern. »Und was ist mit deiner Ehe, Hetty? Hat sich etwas gebessert in letzter Zeit?«, erkundigt sich Amelia. Hester senkt den Blick auf ihre Hände, die in den Falten ihres Baumwollkleids ruhen. So runde, glatte Finger, die Nägel poliert und sauber. Aus irgendeinem Grund kann sie den Anblick kaum ertragen. Abneigung gegen sich selbst packt sie so heftig, dass sie diese Finger zu Fäusten ballt und zudrückt, bis sich ihre Nägel in die Handballen bohren.
»Ich habe aus Liebe geheiratet, Amelia. Wie du weißt … und wie unsere Eltern auf ihre sanfte Art beklagten. Und obwohl ich einen bescheidenen Mann mit begrenzten Mitteln gewählt habe, dachte ich, dass ich reich an Liebe sein würde – dass ich geliebt werden und Kinder großziehen würde, umgeben von all dieser Liebe …« Sie blickt über den versengten Rasen zu John hinüber, der seine Schwester neckt, indem er ihr Haarband hoch über ihren Kopf hält und es wegzieht, sobald sie danach greift. Das kleine Mädchen hüpft und schnappt gutmütig danach, immer fröhlich, ohne die Geduld zu verlieren. Wieder spürt Hester einen heftigen Stich der Sympathie für die Kleine, wie für eine Kameradin auf dem gleichen Lebensweg.
»Und … wirst du denn nicht geliebt?«
»O doch. Als Schwester, als Freundin. Aber anscheinend nicht so, wie ich ihn liebe. Nicht als Ehefrau. Nicht als … Geliebte.« Sie stößt ein tiefes Seufzen aus und spürt, wie die Last ihrer eigenen Worte sich immer schwerer auf ihren Geist herabsenkt. »Und jetzt hat er einen neuen Freund, einen neuen Vertrauten, und ich fürchte, dass er sich von Tag zu Tag ein wenig mehr von mir entfernt.«
»Das ist doch nicht möglich, Hetty? Albert war dir doch immer so treu ergeben?«, entgegnet Amelia.
»Vielleicht war er das früher einmal. Aber jetzt ist alles anders. Sogar seine Gemeinde leidet bereits unter der Ablenkung durch Mr. Durrant.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, Pamela Urquhart war beispielsweise neulich hier, um sich zu
Weitere Kostenlose Bücher