Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
die Hauswand und nippte so langsam wie möglich an ihrem Getränk. Man würde sie während der Untersuchung ohnehin nicht zu Griffin zurücklassen.
Nach einer geschätzten Viertelstunde sah sie auf die Uhr. Es waren erst fünf Minuten verstrichen. Jac beobachtete die Menschen, die kamen und gingen, und konnte bald unterscheiden, wer im Krankenhaus arbeitete und wer nicht, selbst wenn nicht alle Schwestern und Pfleger Kittel trugen. An den Gesichtern der Mitarbeiter war keine Geschichte abzulesen. Es hatte sich keine Angst in sie eingegraben. In ihren Augen lag keine Trauer, und sie pressten nicht vor Sorge die Lippen aufeinander.
Als Jac schließlich wieder ins Zimmer wollte, hielt die diensthabende Schwester sie zurück.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Jac und schielte nach der Zimmertür.
»Aber ja.« Die Schwester lächelte. »Ich heiße übrigens Hélène. Ich bin heute bis fünf Uhr hier. Sind Sie Monsieur Norths Frau?«
»Nein, seine Cousine. Ich bin seine Cousine.«
Robbie hatte dieselbe Lüge erzählt, als sie mit dem Krankenwagen hier angekommen waren. Er hatte Jac erklärt, dass sie sonst vielleicht nicht bei Griffin hätten bleiben dürfen. Als sie wissen wollte, woher er das wusste, erzählte Robbie von Erlebnissen seiner Freunde, schwuler Paare, die einander nicht hatten besuchen dürfen, weil Blutsverwandtschaft mehr zählte als die Liebe.
»Warum brauchen die Ärzte dann so lange?«
»Monsieur North ist aus dem Koma erwacht. Sie machen ein paar Tests mit ihm.«
»Hat er bleibende Gehirnschäden?«
»Ich darf Ihnen leider …«
Jac griff nach Hélènes Hand. »Ich weiß, dass Sie das nicht dürfen. Und ich erzähle es bestimmt niemandem. Aber ich werde noch wahnsinnig. Bitte sagen Sie mir, wie es um ihn steht.«
Die Schwester beugte sich ein wenig vor, und Jac bemerkte unter den antiseptischen Krankenhausgerüchen Zitrone, Verbene und etwas sehr Süßliches, das sie nicht gleich zuordnen konnte. Hélènes herzförmiger Mund verzog sich zu einem Lächeln. Sie trug leuchtenden, fast bonbonfarbenen Lippenstift. Wahrscheinlich war er es, der so lieblich roch.
»Bei den meisten Tests war ich mit im Zimmer«, sagte Hélène. »Und es sieht ganz so aus, als ob er sich vollständig erholen wird.«
Die Erleichterung erfasste Jac wie eine warme, sommerliche Brise. Obwohl sie stillstand, begann sich alles um sie herum zu drehen. Einen Wimpernschlag später fand sie sich auf einem Hartplastikstuhl wieder, und Hélène stand neben ihr und reichte ihr einen Pappbecher.
»Hier, trinken Sie davon«, sagte die Krankenschwester.
»Was ist denn passiert?«
»Ihr Kreislauf hat wohl nicht ganz mitgespielt.«
Jac nickte. »Ich war so erleichtert.«
»Natürlich, verstehe. Ruhen Sie sich hier aus, bis die Ärzte fertig sind. Bestimmt wird einer von ihnen mit Ihnen reden wollen.«
Hélène wandte sich zum Gehen, doch Jac hielt sie noch einmal zurück. »Dann haben Sie ihn tatsächlich wach gesehen?«
Die Schwester nickte. »Aber ja.«
Eine halbe Stunde später bestätigte der Neurochirurg Jac, dass Griffin sich vollständig von seinem Sturz erholen würde. Wahrscheinlich würde er das Krankenhaus schon bald verlassen können. »Monsieur North schläft jetzt«, sagte er. »Vermutlich wird er den Rest des Tages über immer wieder einnicken. Aber Sie können reingehen, wenn Sie mögen.«
Bis auf einen Tropf hatten die Ärzte alle Schläuche abgenommen. Griffin lag mit leicht geöffnetem Mund auf dem Rücken. Seine Gesichtsfarbe wirkte fast wieder normal. Der Verband an seiner Schulter war auch gewechselt worden. Es war kein roter Fleck mehr zu sehen. Noch vor wenigen Stunden war alles voller Blut gewesen.
Dann entdeckte Jac, dass noch etwas in seinen Haaren kleben geblieben war, eine bräunliche Masse in den silbernen Strähnen. Es schüttelte sie bei dem Anblick.
Jac trat an sein Bett und sah ihn an. Griffin, mit dem vor Jahren ihr Leben erst richtig angefangen hatte und der seit heute ihr Lebensretter war. Das alles war fast zu viel, um es zu begreifen, zu kompliziert, um es in Worte zu fassen.
Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn, als könnte sie ihn wie im Märchen zu neuem Leben erwecken. Doch Griffin regte sich nicht. Seine Augen blieben geschlossen.
Jac wusste nicht, wie lange sie schon so dort stand, als schließlich die Schwester mit dem süßlichen Lippenstift ins Zimmer kam.
»Was halten Sie davon, eine Weile nach Hause zu gehen? Er wird lange schlafen. Sie könnten
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