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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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überstanden waren.
    Danach besuchte er sie regelmäßig. Gleich morgens kam er ins Krankenhaus und blieb, bis seine Schicht im Le Jazz Hot begann. Der Arzt berichtete ihm jeden Tag von ihren Fortschritten und erklärte, welche Antidepressiva und Angstlöser sie bekam. Die Medikamente beruhigten sie, machten sie aber auch antriebslos und desinteressiert. »Erwarten Sie nicht zu viel auf einmal«, mahnte er.
    Wenn François ihr Krankenzimmer betrat, wandte sich das Mädchen ab. Wenn er mit ihr sprach, presste sie stumm die Lippen aufeinander. Die Krankenschwester erklärte, das sei Teil des Entgiftungsprozesses. Er solle es nicht persönlich nehmen.
    Als er am fünften Tag zu Besuch kam, erklärte der Arzt, Valentine könne entlassen werden, wenn er sie nach Hause brächte.
    Nach Hause? Darüber hatte er sich nie Gedanken gemacht. Er konnte sie nicht nach Hause bringen.
    Als er ihr Zimmer betrat, saß sie frisch geduscht und angezogen auf der Bettkante. Mit finsterem Gesicht. Zum Erbarmen abgemagert. Die Augen rotgeweint.
    »Du kannst nur gehen, wenn jemand auf dich aufpasst«, sagte François. »Gibt es jemanden, den ich anrufen kann, damit er dich abholt?«
    Sie schwieg.
    Das rot-orangefarbene Kleid, das sie in jener Nacht getragen hatte, wirkte unter der grellen Krankenhausbeleuchtung noch schäbiger als zuvor. Die hohen Lackstiefel mit den abgewetzten Absätzen sahen billig aus.
    »Kannst du irgendwo unterkommen?«
    Keine Antwort.
    »Was ist mit deinem Zuhälter? Hast du bei dem gewohnt? Hat er dich mit dem Stoff versorgt?«
    Wieder sagte sie nichts, doch eine Falte grub sich in ihre blasse Stirn.
    »Du könntest eine Weile bei mir bleiben.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Möchtest du das?«
    Endlich wandte sie sich ihm zu. Sie starrte ihn so wütend an, dass er erschrak. »Soll ich dich als Gegenleistung ficken? Ist es das?«, zischte sie mit rauer Stimme. »Das mache ich nicht mehr. Nie mehr. Ich finde schon selbst was.«
    »Du sollst mich ganz bestimmt nicht ficken«, lachte François. »Herzchen, ich bin stockschwul.«
    Sie hob die Augenbrauen. »Was ist es dann? Was willst du von mir?«
    »Gar nichts. Außer, dass du deinen eigenen Dreck wegmachst.«
    Ihr Misstrauen wich der Verwunderung. »Warum willst du mir helfen?« Auf einmal klang ihre Stimme sehr mädchenhaft.
    François schwieg. Er wusste es selbst nicht. Eine Weile saßen sie stumm da, Valentine mit baumelnden Beinen auf der Bettkante und François auf einem abgeschabten Kunstlederstuhl. Aus dem Flur drang das hektische Treiben des Krankenhauspersonals zu ihnen herein.
    »Ich war ganz anders als meine Geschwister«, erzählte François dann. »Niemand interessierte sich für mich. Außer unserem Hund. Sie gehörte eigentlich der ganzen Familie, hörte aber nur auf mich. Schlief sogar bei mir. Spätabends ließ ich sie immer vor die Tür. Sie trieb sich eine Weile herum, aber ich wartete auf sie, und sie kam immer zurück. Nur einmal nicht. Ich blieb die ganze Nacht auf und suchte sie. Morgens weigerte ich mich, in die Schule zu gehen, und suchte weiter. Ich musste dauernd daran denken, wie hilflos und verletzlich sie war. Alssie am zweiten Abend noch nicht wieder da war, begann ich darum zu beten, dass jemand sie mitgenommen hatte. Es war mir egal, ob jemand sie gestohlen hatte, solange sie nur nicht allein irgendwo in der Gosse lag … verletzt vielleicht …«
    Valentines dunkle Augen wurden noch dunkler.
    François begriff, wie seine Geschichte in ihren Ohren klingen musste. »Ich wollte nicht … Ich wollte nur sagen: Als ich solche Angst um sie hatte, da …«
    »Ich komme mit dir.«
    Valentines Mutter war eine drogenabhängige Prostituierte. Ihr Zuhälter hatte gleich das Potential der halbwüchsigen Tochter erkannt und sie ohne größere Mühe an die Nadel und auf den Straßenstrich gebracht.
    Jetzt ihr Vertrauen zu gewinnen, war sehr viel schwerer, und es dauerte lange, bis sie François glaubte, dass er keine Hintergedanken hegte. So sehr er sich um sie bemühte, erreichte er die ersten Wochen über nicht viel, bis sie herausfand, dass er mehr als nur ein Jazzmusiker war. François war Kampfsportmeister und ein hochrangiges Mitglied der chinesischen Mafia.
    Valentine bestand darauf, dass er sie trainierte, und stellte sich bald als gelehrige Schülerin heraus. Mit jedem ihrer Fortschritte steigerte sich ihre Begeisterung für die Kunst der Selbstverteidigung, bis sie sich zu einer wahren Obsession auswuchs. Valentine war so lange ein

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