Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Opfer gewesen, dass die neue Unverwundbarkeit sie genauso berauschte wie vorher die Drogen.
Sobald sie die Kampfkunst gemeistert hatte, wollte sie mehr über die Verbrechervereinigung wissen, zu der François gehörte.
Einer Triade anzugehören sei eine ehrenvolle Berufung, erklärte er. Schon tausend Jahre vor Christus hatten Bauern erste Geheimbünde gegründet, um sich gegen böswillige Feudalherren und Machthaber zur Wehr zu setzen. Selbst chinesische Mönche, die sich dem Kampf gegen das Unrecht verschriebenhatten, waren an der Gründung beteiligt. Im Lauf der Zeit hatten die Gruppierungen manchen unrechtmäßigen Herrscher und korrupten Politiker zu Fall gebracht.
Für Valentine, die ohne feste Rituale und Werte aufgewachsen war, waren der strikte konfuzianische Ehrenkodex, die geheimnisumwitterte Geschichte und die symbolträchtigen Zeremonien unwiderstehlich. Sie wusste sofort, dass sie ein Mitglied der Pariser Triade sein wollte, auch wenn es zu dem Zeitpunkt dort kaum eine Handvoll Frauen gab.
Zum ersten Mal erlebte sie das Gefühl, einer Familie anzugehören. Ihre Loyalität war bedingungslos. Als sie während des Initiationsritus die zweihundert Jahre alten Treueschwüre aufsagte, schwankte ihre Stimme kein einziges Mal.
Ich werde niemals die Geheimnisse der Familie preisgeben, nicht einmal gegenüber meinen Eltern, Geschwistern oder meinem Ehegatten. Ich werde niemals für Geld die Familie verraten. Tausend tödliche Schwerter sollen mich durchbohren, wenn ich es tue.
Als eifrige Adeptin hatte Valentine sich in François’ Einheit schon bald unentbehrlich gemacht. Doch in letzter Zeit war sie immer unzufriedener geworden. Frauen wurden in der Schwarzen Gesellschaft einfach zu viele Beschränkungen auferlegt. Allein in Paris gab es tausende Mitglieder, doch keine einzige Frau, die höher aufgestiegen war als Valentine.
François sah noch einmal auf die Uhr. Was machte Valentine bloß? Hatte er die Uhrzeit falsch verstanden? Er holte sein Handy hervor und las noch einmal die SMS.
Sie erwartet Sie um 14:15 Uhr. Bitte Bargeld.
Die Nachrichten glichen einander stets und ließen auf einen ganz anderen Zweck seines Besuches schließen. Wenn er sein Telefon je verlor und es in die Hände der Polizei geriet, mussten sie vermuten, dass er ein sexuell durchschnittlich aktiver Mann war, der lieber bezahlte, als Zeit und Mühe in feste Beziehungen zu investieren.
Die Außentür des Windfangs ging auf, und eine junge Blondine mit tief ausgeschnittener weißer Bluse und engem schwarzem Rock kam herein. Sie musterte ihn unverhohlen: seine Eidechsenlederstiefel, die Jeans, die verbeulte Lederjacke und schließlich seine Hände – die schlanken, starken Hände eines Pianisten, mit denen er bei den meisten Frauen punkten konnte.
Im selben Moment, als der Summer ertönte, drehte die Frau ihren Schlüssel im Schloss. Mit einem einladenden Lächeln hielt sie die Tür auf und ließ François herein. Sie beide hatten dasselbe Ziel: für Geld jemanden auf die Matte zu schicken.
Elf
16:43 UHR
»Du hast mich schon seit zehn Minuten nicht mehr gefragt, ob ich vorangekommen bin«, bemerkte Griffin.
Seit dem Mittagessen hatten die beiden ohne Pause durchgearbeitet. Robbie recherchierte im Internet nach altägyptischen Parfüms, und Griffin setzte akribisch Scherbe um Scherbe zusammen und bemühte sich, ihre Aufschrift zu entziffern.
»Ich wollte dir nicht allzu sehr auf die Nerven fallen.«
Griffin lachte.
»Und ich denke, du wirst es mir schon sagen, wenn du weitergekommen bist.«
»Ich bin weitergekommen.«
»Ach ja?« In Sekundenbruchteilen wechselte Robbie auf Griffins Schreibtischseite.
»Hier, ein neuer Satzteil. Es könnte das sein, worauf du gewartet hast.« Griffin las vor: »Und von da an fanden seine und ihre Seele einander wieder und wieder bis ans Ende der Zeit,
wann immer der Lotus blühte
.«
»Wann immer der Lotus blühte …«, wiederholte Robbie atemlos. »Das Labor hat keine Spuren von Blauem Lotus festgestellt. Aber das muss nichts heißen. In meinen Quellen wird er immer wieder als beliebtes Ingrediens genannt.« Je aufgeregterer war, desto ausgeprägter wurde sein französischer Akzent, und jetzt hatte Griffin fast Mühe, ihm zu folgen.
»
Blauer
Lotus?«, hakte er nach.
»Ja, genau. Manchmal nennt man die Pflanze auch Heilige Blaue Lilie oder Ägyptische Seerose. Sie wird bis heute benutzt …« Robbie nahm Griffins Lupe zur Hand und sah sich das Scherbenmosaik auf dem
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