Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
seine Gedanken kreistenum diesen Kern. Um das Wissen, dass dies hier nur eine kurze Atempause war. In New York erwarteten ihn die Fehler, die er begangen hatte, und seine Trauer, der er sich stellen musste. Was die bevorstehende Scheidung schon jetzt bei Therese angerichtet hatte und was sie für Elsie bedeuten würde, brach ihm das Herz. Doch warum warten? Am Ende enttäuschte er seine Mitmenschen immer. Warum sollte es diesmal anders sein?
Während er am Ufer der Seine entlangflanierte und einem Ausflugsschiff hinterherblickte, versuchte er, sich zu überzeugen, dass noch alles gut werden würde. Er hatte es fast geschafft, als er die Straßenecke der Rue des Saints-Pères erreichte. Dann bemerkte er die Polizeifahrzeuge.
Was war hier los?
»
La rue est fermée
«, sagte ein Polizist, als Griffin die Absperrung erreichte.
»
Mais j’ai un rendez-vous avec Monsieur L’Étoile «
, antwortete Griffin in seinem schönsten Schulbuch-Französisch.
»Mit Monsieur L’Étoile?« Der Polizist sprach auf Englisch weiter. »Heute?«
»Ja, heute. Jetzt.«
»Warten Sie bitte. Ich hole jemanden.«
Kurz darauf kam der Polizist wieder, sagte, der Inspektor wolle Griffin sprechen, und führte ihn in den Laden. Lucille saß an einem der antiken Holztische. Ihre Augen waren rot gerändert, und sie hielt ein zerknülltes Taschentuch so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Was ist denn los?«, fragte Griffin. »Was ist passiert?«
»Der Laden war nicht abgeschlossen, als ich kam«, sagte Lucille. »Aber es war alles an seinem Platz.« Als ob sie alles noch einmal durchlebte, ließ sie ihren Blick über die Flakons auf den Regalen schweifen. »Ich dachte, Monsieur L’Étoile hätte die Tür für mich aufgeschlossen und dann in der Werkstatt einenAnruf bekommen. So etwas ist schon vorgekommen. Also tat ich dasselbe wie jeden Morgen. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich gehe nie in die Werkstatt. Nie. Um halb zehn bestelle ich Kaffee, und dann kommt Monsieur L’Étoile nach vorn, um mir guten Morgen zu sagen. Er kommt nie durch die Vordertür, sondern nimmt den Weg durch das Wohnhaus und die Werkstatt.«
Während sie sprach, sah Griffin Polizeibeamte mit ernsten Gesichtern kommen und gehen. Manche redeten leise miteinander oder telefonierten. Andere machten Fotos, sicherten Fingerabdrücke oder zupften Fasern aus dem Teppichboden.
»Als er um halb zehn nicht kam, blieb ich hier und wartete. Ich störe ihn nicht gern, auch wenn er immer beteuert, es mache ihm nichts aus. Er ist so rücksichtsvoll …« Sie verstummte und schloss die Augen.
»Dann kam ein Anruf, auf den er gewartet hatte, und ich summte ihn über die Sprechanlage an. Er reagierte nicht, also ging ich nach hinten und klopfte. Eigentlich gehe ich nie rein, wenn er nicht antwortet, aber er hatte mir gerade gestern noch gesagt, wie wichtig dieser Anruf war. Ich klopfte noch einmal … Ich weiß nicht, vielleicht hätte ich nicht reingehen sollen … hätte besser gleich die Polizei gerufen … Jetzt werde ich es nie wieder loswerden. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.«
»Lucille, bitte sagen Sie mir, was mit Robbie passiert ist.«
Lucille schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er war nicht da. Zu Hause ist er auch nicht. Und er hat sein Handy nicht dabei. Es liegt auf dem Schreibtisch.«
»Aber die vielen Polizisten, die sind doch nicht alle hier, bloß weil Robbie nicht da ist.«
»Da war … ein Mann. Auf dem Boden.« Sie sprach abgehackt, als schaffte sie es nicht, mehr als zwei, drei Worte nacheinander auszusprechen.
»Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Er sah krank aus. Als ich ihn berührte …« Wieder verstummte sie. Griffin sah, wie sieschauderte. »… war er ganz kalt. Der Mann war … er war … Ich wusste es sofort. Er war tot.« Lucille begann haltlos zu schluchzen. Griffin rückte seinen Stuhl näher heran und legte den Arm um die Frau, die er kaum kannte, die völlig verängstigt war und einen Alptraum durchlebte.
»Und dann haben Sie die Polizei gerufen?«
»Ja. Sie sind sofort hergekommen. Aber Monsieur L’Étoile ist wie vom Erdboden verschluckt.«
»Irgendwo muss er doch sein, Lucille. Ist die Ladentür vielleicht nicht aufgeschlossen, sondern aufgebrochen worden? Gab es irgendwelche Spuren? Wurde etwas gestohlen?«
Bevor sie antworten konnte, trat ein Mann zu ihnen heran. »Sind Sie Monsieur North?« Er war vergleichsweise klein, einen Meter fünfundsiebzig ungefähr, schlank und trug einen perfekt
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