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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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sie nicht nötig. Oder doch?
    »Du musst dir alles, was du zu sehen kriegst, haargenau einprägen.« Cali hatte sich ihrer anderen Leidenschaft zugewandt, der Kunst, nach der sie sich sehnte. »Die vielen Gemälde, die Skulpturen …«
    Doch die Gemälde und Skulpturen waren unwichtig. Londonwar unwichtig. Und Rom ebenso. Paris war der Ort, auf den er seine Hoffnung setzte. Bis Paris musste er es schaffen, egal, welche Hindernisse man ihm in den Weg legte. Dort würde er ein Zeichen setzen, das ihm Calis Respekt einbrächte.
    Wenn er es nur schaffte, aus China herauszukommen. Wenn die Regierung nur nicht herausfand, was er plante. Wenn er nur nicht den Verdacht jener unter seinen Mitreisenden erregte, die für das Ministerium für Öffentliche Sicherheit arbeiteten.
    Die Regierung infiltrierte jeden Bereich der Gesellschaft mit ihren Spionen – ganz normalen Bürgern, die in ihrem Betrieb, ihrer Organisation oder Universität einer normalen Tätigkeit nachgingen, ohne je aufzufallen. Doch sie beobachteten alles um sich herum und erstatteten Bericht, wenn etwas Ungewöhnliches vorfiel.
    Xie wusste, dass die vom Ministerium engagierten Studenten auf dieser Reise besonders aufpassen würden. Keiner seiner Schritte würde ihnen entgehen. Wenn er sich nicht unter Kontrolle hatte, würde er unsicher und übervorsichtig werden. Und genau das versuchte das Ministerium zu erreichen: verängstigte, beunruhigte Bürger, die sich umso leichter unter Kontrolle halten ließen.
    Dagegen musste Xie sich wehren. Er würde sein Mantra einsetzen, um sich immer wieder neu zu fokussieren. Sich immer auf den nächsten Schritt konzentrieren. Auf die Bedeutung seiner Mission.
    Wenn die Regierung mitbekam, dass seine jahrelange »Umerziehung« wirkungslos geblieben war, gäbe es keine zweite Chance für ihn. Sie durften nicht wissen, dass er sich an seine Entführung genau erinnerte, an den gewaltsamen Tod seiner Lehrmeister und daran, dass niemand anderer als er der Panchen Lama war, dessen Wiederauftauchen sie so fürchteten. Denn dann würde es ihm nie gelingen, sich mit dem Dalai Lama zu treffen.
    Xie wusste, dass er in Rom, London und Paris Gelegenheit hätte, die größten, bedeutendsten Museen zu besuchen. Doch wenn er seinen Gedanken freien Lauf ließ, trugen sie ihn immer in eine kleine, bescheidene Kunstgalerie inmitten eines Parks. Egal, wie voll es dort wäre, wie überlaufen und laut, dort würde sich alles entscheiden. Für den Rest seines Lebens würde es immer eine Zeit vor diesem Tag geben und eine Zeit danach. Es sei denn, das Ministerium deckte seine Pläne auf – dann würde er Frankreich nicht lebend verlassen.
    »Kannst du mich nicht einfach in deinen Koffer packen?«, fragte Cali.
    »Aber was ist dann mit meinen Anziehsachen?«
    »Du könntest dir in London neue kaufen.«
    »Und wie komme ich durch den Zoll?«
    »Also wirklich, in London machen sie doch nicht die Koffer auf.«
    Er musste lachen, und sie fiel mit ein.
    »Also abgemacht«, sagte sie. »Wenn der Typ da mit deinem Koffer fertig ist, klettere ich rein, ja?«
    Zum tausendsten Mal wünschte sich Xie, sein Schicksal wäre ein anderes. Eins, das es ihm erlaubte, dieses Mädchen in die Arme zu schließen, sie zu lieben, sich ihrer Sache anzuschließen und das Leben zu genießen. Stattdessen hatte er eine karmische Pflicht zu erfüllen. Einen Weg, dem er folgen musste, koste es, was es wolle.
    »Herr Ping«, schnarrte der Beamte durch ein Mikrofon. »Ihre Reisedokumente bitte.«
    Xie schob seine Papiere durch einen Schlitz in der Trennwand und beobachtete, wie der Beamte darin blätterte. Sein Magen zog sich zusammen, als der Mann stockte und die Stirn runzelte. Cali trat zu ihm und nahm seine Hand.

Siebzehn
     
     
    PARIS, FRANKREICH
    MITTWOCH, 25. MAI, 7:30 UHR
     
    Die nächtliche Reise und die ständigen Sorgen forderten ihren Tribut. Erschöpft schloss Jac die Augen, doch im Taxi konnte sie ebenso wenig schlafen wie im Flugzeug. Je näher sie der Stadt kam, desto übermächtiger wurde ihre Angst. Seit ihrer Abreise nach Amerika vor sechzehn Jahren war Jac nicht mehr nach Paris zurückgekehrt. Ihre Großmutter lebte im Süden, in Grasse, ebenso wie der Rest der französischen Familie, ihre Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins. Selbst Robbie war dorthin umgezogen. Nur ihr Vater nicht, und von dem hatte Jac gründlich genug. Nicht erst seit dem Beginn seiner Krankheit. Aber Robbie – wo war er bloß?
    Schon als Kinder waren ihre Gefühle stets gegensätzlich

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