Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
angefangen? Die Inder? Die Chinesen? Die Briten? Aufgekochte vertrocknete Blätter hatten noch nie ein Problem gelöst.
In der Küche hörte sie William mit dem Ritual beginnen. Jedes seiner Geräusche – das Rauschen des Wassers, das Quietschender Schranktür, das Klirren der Tassen – zehrte an ihren Nerven. Sie musste sich beherrschen. Schließlich konzentrierte sie sich auf eine der Meditationstechniken, die François sie gelehrt hatte.
»Warum hat er mich rauchen lassen?«, rief sie. »Warum hat er mir nichts gesagt?«
»Es sollte niemand wissen.«
»Nicht einmal ich? Das kann ich nicht glauben.«
William kam mit einem Tablett aus der Küche zurück und schüttelte den Kopf. Fast meinte sie den Hauch eines triumphierenden Lächelns zu erkennen. William war immer ein wenig eifersüchtig auf ihre enge Bindung mit seinem Geliebten gewesen. Vielleicht hatte er sich sogar nur den Triaden angeschlossen, um François im Auge behalten zu können, dachte Valentine. Er schien sich kaum für ihre Sache, für die Bruderschaft und ihre jahrtausendealte Tradition zu interessieren. Sie und François waren die wahren Krieger gewesen, die Waffenbrüder. Und jetzt ließ er sie mit dem falschen Partner zurück.
»Er wollte, dass man ihn für unbesiegbar hält«, sagte William.
»Das war er auch«, flüsterte sie.
»Kommst du nachher mit ins Krankenhaus?«, fragte er leise.
»Wohin?«
»Ins Krankenhaus. Wir können ihn nicht als anonyme Leiche da liegen lassen. Wir müssen sein Andenken ehren.«
Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Wie sollen wir ihn denn mitnehmen? Was sollen wir denen denn sagen, wer wir sind?« Sie bemerkte, dass sie schrie, und hob entschuldigend die Hand.
»Du hast es geschworen«, sagte William.
Seit dem neunzehnten Jahrhundert leistete jedes Triadenmitglied dieselben sechsunddreißig Schwüre. Valentine wusste sie alle auswendig.
Ich werde meinen Brüdern mit jeglichen Mitteln dabei helfen, ihre verstorbenen Brüder oder Eltern zu begraben. Fünf tödliche Blitze sollen mich treffen, wenn ich diesen Schwur nicht halte.
William hatte recht: Sie musste ihm helfen. »Aber nicht jetzt«, sagte sie. »François hätte gewollt, dass wir erst diesen Job erledigen.« Valentine ballte die Fäuste, um ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Mit diesen Händen hatte sie einmal jemanden erwürgt, während François dabei zusah und ihr Anweisungen gab.
Was soll ich tun? Wer soll mir helfen, wenn du nicht mehr da bist?
François hatte sie auf diese Situation vorbereitet. »Keiner von uns ist so wichtig wie die Bruderschaft«, hatte er gesagt. »Wenn einer von uns gefangen oder getötet wird, treten andere an seine Stelle.« Er hatte Valentine Anweisungen gegeben, die er sie auswendig lernen ließ wie ihre Treueschwüre. »Wenn ein Plan scheitert, überlege dir einen anderen. Vergiss nicht, dass du auch ohne mich weitermachen kannst. Du bist so weit.« Er hatte voller Stolz gelächelt. »Du bist so weit, und das weißt du.«
Valentine drückte ihre Zigarette aus und trank von dem starken Schwarztee, den François so mochte und den sie zu bitter fand.
»Ich muss den Rest des Teams zusammentrommeln und neu organisieren«, sagte sie. »Jemand sollte sich mit einem Richtmikro vor dem Haus L’Étoile in Stellung bringen und rausfinden, was dort los ist.«
»Sollten wir nicht erst mit Peking Kontakt aufnehmen?«
»Dafür ist die Sache zu weit fortgeschritten. Die schicken am Ende noch einen Aufseher hierher. Das kostet nur Zeit. Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen.«
»Heißt das, du ernennst dich selbst zum Weihrauchmeister?«, fragte William.
Fünf tödliche Blitzstrahlen sollen mich treffen, wenn ich ohne Erlaubnis jemandes Rangstufe erhöhe.
»Nein, natürlich nicht. Die in Peking können die Position neu besetzen, wie es ihnen passt. Wir müssen nur zu Ende bringen, was François angefangen hat.«
William sah sie an wie eine Fremde. »Du willst schon wieder an die Arbeit? Wir haben noch nicht um ihn getrauert, Valentine.«
»Dafür ist jetzt keine Zeit. Am Samstag kommt der Dalai Lama nach Paris. Wir haben drei Tage, um zu verhindern, dass er die Tonscherben bekommt.«
Sie legte William die Hände auf die Schultern und sah ihm in die geröteten Augen. »Wir werden um ihn trauern, glaub mir. Jetzt ehren wir sein Andenken am besten, indem wir erreichen, wofür er gestorben ist.«
François hatte bei diesem Auftrag von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt, aber nicht
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