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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tisch. Pier-Luigi Alvio betrachtete das Geld voller Ehrfurcht. Emma fragte diplomatisch: »Signore, wir sind arme Bauern, aber wir haben noch ein Faß mit gutem Wein. Darf ich Ihnen ein Glas bringen?«
    Tartazzi sagte nicht nein, lächelte die braven Alten herzig an und wirbelte mit seinen Fingerspitzen die Geldscheine auf. Sie schwebten über den Tisch wie Federn.
    Pier-Luigi nickte mehrmals. »Was kann ich für Sie tun?« fragte er mit belegter Stimme. »Signore, ich habe nichts zu verkaufen.«
    »Können Sie schreiben?« Tartazzi rieb die Hände freudig aneinander, als Emma mit dem Wein kam. Er nahm einen Schluck, das Getränk war sauer und kratzte im Hals, aber er verdrehte die Augen und sagte begeistert. »Oh!«, was das Vertrauen der Alvios zu dem Gast noch erhöhte.
    »Schreiben?« Pier-Luigi kratzte sich über den Nasenrücken. »Das geht.« Ist lange her, dachte er. Wann schreibt unsereiner schon? Und wozu? Seine Olivenbäume hatten noch nie gefragt: »Kannst du schreiben: ›Ich bin eine Olive!‹? Oder: ›Du bist ein armer Hund, Pier-Luigi‹!« Natürlich hatte man in der Schule schreiben gelernt, auch rechnen, und vor allem Religion, aber mit alldem konnte man hier oben in den Bergen, auf den armseligen Feldern nichts anfangen. Hier mußte man mit der Sonne kämpfen, mit dem Wind, den Steinen, dem Staub, der Trockenheit und, wie jetzt, mit der ungewohnten Kälte. Da halfen keine Kirchenlieder und Psalmen, aber auch kein Bleistift.
    Tarzatti nahm noch einen Schluck von dem fürchterlichen Wein und schnalzte mit der Zunge. »O Madonna!« rief er. »Das ist ein Tropfen! Wie steht's mit dem Lesen?«
    »Es geht beides«, antwortete Pier-Luigi zurückhaltend. »Warum?«
    »Die 250.000 Lire bleiben hier auf dem Tisch, wenn ihr mitkommt und unterschreibt, daß euer Sohn Giulmielmo verunglückt ist.«
    »Wir haben aber keinen Sohn«, unterbrach ihn Emma. »Leider, Signore …«
    »Für 250.000 Lire stellt euch einen Sohn vor!« Tartazzi lächelte die beiden alten Leute sonnig an. »Dieser arme Giulmielmo ist überfahren worden. Keine Hoffnung! Aber er kann noch etwas Großes tun: Er kann in einem Hospital anderen Menschen das Leben retten!«
    »Giulmielmo?«
    »Ja.«
    »Obwohl er tot ist?«
    »Ja.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Es ist auch etwas kompliziert. Aber für 250.000 Lire sollte man nicht zu intensiv denken.« Tartazzi schichtete die Geldscheine aufeinander: ein kleiner, sehr verlockender Hügel auf einem wackeligen Holztisch. »Die Sache ist ganz einfach, wenn man sie einfach betrachtet: Ihr kommt mit in ein Krankenhaus, lernt dort einen berühmten Arzt kennen, fangt an zu weinen und zu klagen: ›Unser armer, armer Giulmielmo! Unser einziger Sohn! O diese verfluchten Autos! Die Hölle verschlinge sie! Aber wir sind einverstanden, daß Giulmielmo noch im Tode Gutes tut – er hat immer Gutes getan, der gute Junge!‹ Und so weiter, versteht ihr?! Und dann unterschreibt ihr beide ein Stück Papier, auf dem steht, daß Giulmielmo nun dem Krankenhaus gehört.«
    »Unser Sohn!« sagte Emma ehrfürchtig.
    »Ja.«
    »Für 250.000 Lire?«
    »Da liegen sie!«
    »Mein Sohn ist aber mehr wert!« sagte Emma, die treue. In diesem Augenblick bewunderte Pier-Luigi seine Alte. Sie hatte die Situation begriffen.
    Tartazzi behielt sein nettes Lächeln. Was bedeutet Geld? »350.000 Lire!«
    »Diese krummen Zahlen! 400.000!«
    »Abgemacht. Mein letztes Wort, oder ich gehe!« Tartazzi erhob sich. »Können wir sofort fahren?«
    »Sofort?«
    »Ja.«
    »So wie wir sind? Ohne Trauerkleidung? Giulmielmo hat es verdient, daß man um ihn trauert, wenn er ein so guter Junge war.« Pier-Luigi sah seine Emma an. Sie nickte und faltete sogar die Hände. »Wir ziehen uns schnell um. Wir sind gleich fertig.«
    Tartazzi nickte, packte die Geldscheine wieder in seinen Pelzmantel und verließ das Haus. Pier-Luigi löste den Gürtel an seiner Hose und ließ sie auf seine Schuhe rutschen. Die gute Emma knöpfte ihr Kleid auf und ging zu einem alten Schrank.
    »Nun hast du doch einen Sohn«, sagte Alvio und stieg aus seiner Hose.
    »Aber tot!«
    »Und 400.000 Lire!«
    »Ich glaub' das noch nicht.« Sie holte die Trauerkleider aus dem Schrank und warf sie über eine Holzbank. Pier-Luigi betrachtete seine Emma, als sie jetzt aus dem Kleid schlüpfte und in der Unterwäsche herumlief. Sie ist alt und dick geworden, dachte er. Vor Jahren war sie ein schlankes, junges Mädchen mit langen schwarzen Locken und dünnen Beinchen gewesen, hatte

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