Das Haus der verlorenen Herzen
Schiffsschraube treiben lassen. Sein Anblick hinterher war etwas für starke Nerven. Oreto hatte sie, aber das Frühstück kam ihm trotzdem hoch.
Südwestlich von Putzu Idu warfen sie den Leichnam ins Meer und sahen ihm nach, wie er ein paar Meter dahintrieb und dann versank. Sie wendeten das Boot, nahmen wieder Kurs nach Süden und waren sich einig, daß man diese Nachtstunden mit Wein herunterspülen mußte.
»Er muß ein großer Mann gewesen sein«, philosophierte Oreto später in der Kajüte. »Nicht der, den wir weggeworfen haben, aber der, der tot sein soll! Vergessen wir alles, Amigo … Ich möchte auch weiterhin von Don Eugenio als meinen Freund sprechen.«
Der Tote trieb mit der Strömung träge auf den Capo Manu zu, so wie man es in Palermo berechnet hatte. Ebbe und Flut berücksichtigt, mußte er in spätestens zwei Tagen angeschwemmt werden.
Der Tod Dr. Volkmars war dann mit Sicherheit feststellbar und endgültig.
Anna kam im Morgengrauen in Neapel an.
Sie spülte noch das Frühstücksgeschirr der Passagiere, hängte dann Kittelkleid und Schürze in den Eisenspind im Vorraum der Küche, verzichtete auf die Löhnung dieses Tages und verließ, unter Bruch des unterschriebenen Arbeitsvertrages, das Schiff. Im Gewühl des Ausladens von Gepäck und Waren, Passagieren und Autos fiel sie nicht auf, hängte ihre Segeltuchtasche über die Schulter und fragte sich zu den Büros der Schiffahrtsgesellschaften durch, die Liniendienste nach Sizilien fuhren.
Es gab einfachere, schnellere Wege nach Palermo, etwa mit dem Flugzeug, aber das verschlang die Mehrzahl der Lire, die Ernesto und sie für Luigis Tod bekommen hatten. Anna konnte rechnen, sie hatte in ihrem zwanzigjährigen Leben gelernt, mit einem Minimum an Aufwand zu existieren. Die fünfhunderttausend Lire, die sie bei sich trug, wollte sie nur anrühren, wenn es ihr nicht aus eigener Kraft gelingen würde, weiterzukommen. Sie hatte zwei geschickte Hände, sie hatte auch Kraft, für zwei zu arbeiten, sie war es gewöhnt, im kalten Bergklima und in heißer stickiger Stalluft zwölf und mehr Stunden klaglos zu schuften, und so würde sie es auch bis Palermo schaffen, ohne das Geld anzurühren. Manchmal sprach sie mit den Scheinen, nannte sie »Luigi, mein Bruder …« Sie waren für sie so etwas wie eine Verheißung geworden, daß sie den Mann wiederfinden würde, der Luigi so zugerichtet hatte.
Dann aber – das hatte sie bei ihrem Weggang aus den Bergen von Gennargentu am Wegkreuz der Heiligen Mutter von Atzara geschworen – wollte sie das Geld einem Waisenhaus stiften. Es war dann sauberes Geld, denn Blut wäscht man mit Blut ab. So denkt man in den Bergen von Sardinien.
Bis zum Mittag saß Anna am Hafen von Neapel herum, spuckte Männer an, die sich mit eindeutigen Anträgen vor ihr aufbauten, und entschied sich dann nach einem Rundgang durch die Heuerbüros, eine Arbeit als Putzfrau auf einem Luxusliner anzunehmen, der Rundfahrten machte und auch in Palermo landete. Es war das nächste Schiff, das von Neapel in diese Richtung ablegte. In zwei Tagen sollte es in Palermo eintreffen, nach einem Umweg über die Inseln Stromboli und Lipari, wo die Amerikaner und Deutschen ihre Fotoapparate noch mehr strapazierten als ihre Begleiterinnen.
Palermo! Don Eugenio! Und der Mann, der Luigi abgeschlachtet hatte. Wie hatte er geheißen? Ganazzo oder so ähnlich. Man würde ihn finden. Wer Wölfe in den Bergen gejagt hat, wird auch einen Menschen aufspüren können.
Und dann Enrico … Wie wird er staunen, wenn Anna vor ihm steht und sagt: »Hier bin ich! So groß kann diese Welt nicht sein, daß ich dich nicht finden würde. Ich liebe dich. Ich weiß, du bist ein großer, berühmter Mann, aber was tut das, wenn ich dich liebe? Ich bin hübsch, ich weiß es. Ich habe schöne, feste Brüste, einen schlanken Leib, lange, gute Beine und einen Schoß voller schwarzer Locken. Und wenn du auch so berühmt bist, daß du mich nirgendwo zeigen willst … was macht es? Ich werde unsichtbar sein, in einer dunklen Ecke warten, bis du mich rufst. Ich werde bei dir sein, ohne daß mich jemand sieht – aber ich bin bei dir, und das wird mein ganzes Leben sein. Mehr Glück will ich gar nicht, Enrico. Nur bei dir sein, wenn du sagst: Anna, komm her! Laß mich bei dir sein, Enrico!«
Sie bezog auf dem Luxusliner eine winzige Kabine knapp über der Wasserlinie; sie war sauberer als auf dem Fährschiff, auch das Personal war vornehmer und dementsprechend erfolgsgewohnter. Hier
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