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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trat den schweren Gang zum Keller an. Man hatte einen besonders kühlen Raum gewählt, der penetrant muffig roch. Das alte verrostete Schloß knirschte, als sich der Schlüssel drehte, die Tür quietschte in den schmiedeeisernen Angeln. Alles gute, alte Handarbeit aus dem vorigen Jahrhundert.
    Der Tote lag auf einer einfachen Pritsche, mit einem weißen Tuch völlig zugedeckt. Nur die nackten Fußsohlen ragten hervor, vom Salzwasser wie angefressen. Ein Polizist, der sie von der Kellertreppe an begleitet hatte, stellte sich an das Kopfende der Pritsche und starrte die schöne Signora an. Der Kommissar stand hinter ihr, um sie mit geübtem Griff aufzufangen, wenn sie umkippte. Er hatte schon viele Hinterbliebene, die identifizieren mußten, in den Armen gehalten.
    »Bitte den Kopf«, sagte Angela leise. »Nur ihn …«
    »Signora!« Der Kommissar schluckte krampfhaft. »Gerade der Kopf … Ich – ich habe etwas im Protokoll ausgelassen: Dr. Volkmar muß in eine Schiffsschraube geraten sein …«
    »Bitte!«
    Sie zog das Kinn an und stellte sich die Leichen in der Anatomie vor. Zum Teil schon von anderen Studenten seziert, zerschnippelt, teilweise wegpräparierte Fleischteile von Menschen auf Marmortischen und Zinkwannen. Aber da lag Heinz Volkmar, kein unbekannter Toter, vereist oder aus einer Formalinlösung gefischt. Da lag ihre Liebe, die sie immer unterdrückt hatte, die sie abgewertet hatte zu einem biologischen Akt.
    »Bitte!« sagte sie wieder, kaum hörbar.
    Der Polizist lüftete das weiße Laken über dem Kopf des Toten. Er wurde kalkig im Gesicht, aber er hielt durch.
    Dr. Angela Blüthgen trat näher an die Leiche heran und blickte stumm auf den Kopf, der kein Kopf mehr war. Auch die gesamte Schulter- und Thoraxpartie war zerstört. Zerfetzt, zerschnitten, teilweise weggerissen. Es war wirklich nur noch möglich, diesen Menschen an seinem Gebiß zu erkennen.
    »Ist die linke Hand noch vorhanden?« fragte sie tonlos.
    »Signora?«
    »Die linke Hand!«
    »Ja.«
    Der Polizist deckte schnell den Kopf wieder zu und lüftete die linke Seite. Am Ringfinger der Hand steckte ein schmaler goldener Ring mit einem Karneol.
    Angela deckte selbst das weiße Tuch über den Körper und trat von der Pritsche zurück. »Es ist mein Ring«, sagte sie dumpf. »Ich habe ihn Heinz zu Weihnachten geschenkt. Der Tote ist Dr. Heinz Volkmar.« Und dann tat sie etwas, was den Kommissar und den Polizisten für den Rest ihres Lebens daran glauben ließen, daß im Ernstfall eine Frau mehr Stärke besitzt als jeder Mann.
    Sie beugte sich über den zugedeckten Kopf und sagte ruhig: »Heinz … ich liebe dich!«
    Mit einem Ruck trat sie darauf zurück und flüchtete fast bis zur Kellertür.
    »Kann ich ihn mitnehmen?« fragte sie auf dem Rückweg. »Er soll in Deutschland begraben werden.«
    »Wir werden die Sache so schnell und unbürokratisch wie möglich regeln, Signora …« Der Kommissar führte sie aus dem Keller und die Treppe hinauf. »Aber der Gebißvergleich ist nötig. Sie verstehen.«
    Sie nickte, ließ sich in das Kommissarzimmer bringen, und dort erst brach sie zusammen, sank auf einen der Stühle und weinte haltlos.
    Man ließ sie allein mit Wein, Kognak und Gebäck. Sie war unsäglich dankbar dafür, denn nur das Alleinsein konnte sie noch ertragen. Jetzt Menschen zu sehen, zu hören, hätte ihre Nerven zerrissen.
    Im Nebenzimmer füllte der Kommissar die Formulare zur Freigabe der Leiche und zur Überführung nach Deutschland aus. Nur noch der Staatsanwalt mußte unterschreiben.
    Name: Volkmar, Heinz. Dr. med. München. Unfalltod durch Ertrinken. Einwandfrei identifiziert durch seine Braut, Frau Dr. A. Blüthgen, München, durch Badehose, Ring am linken Ringfinger und Gebiß. Der Raum für das Vergleichsfoto war noch frei – aber das war nur noch eine Formsache.
    Der Zinksarg wurde bestellt.
    Der Mann, den man dann hineinlegte, hieß Sergio Rappallo, 33 Jahre alt, Hafenarbeiter in Catania, ohne bekannte lebende Angehörige. Niemand vermißte ihn.
    Genau zwölf Stunden war Anna mit dem Schiff unterwegs gewesen, als es im Hafen von Palermo einfuhr – eine Stunde länger als auf dem Kurszettel, aber das kümmerte sie nicht so sehr wie die Passagiere, denen die Offiziere erklärten, daß eine elektronische Ruderanlage ausgefallen sei. Man hatte den Schaden unbemerkt auf See repariert, während auf Deck gespielt, geschwommen, zum 5-Uhr-Tee getanzt wurde und unter Deck, in vielen Kabinen, die Betten nicht zur Ruhe kamen.

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