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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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neben dem Telefon. Ich werde mein Handy frühestens nächsten Monat auf Roaming umgestellt haben. Muss noch eine Weile jeden Penny zwei Mal umdrehen. Die Schulden abtragen, bevor ich neue anhäufe. Und ich werde praktisch überhaupt nicht zu zivilen Uhrzeiten zu Hause sein. Aber ich werde versuchen, dich anzurufen. Und du kannst mir immer eine Nachricht hinterlassen, dann rufe ich dich zurück, sobald ich kann. Und du schickst mir eine SMS mit deiner Nummer, nicht wahr?«
    »Umgehend. Tschüs.«
    »Tschüüüüs!«, ruft Carol. Klappt das Handy mit einem Klick zu. Steckt es wieder in ihre Handtasche. Biegt an der Hecke ein und geht die Stufen zur Haustür hinauf. Ihre Schlüssel sind in ihrer Handtasche wie immer ganz nach unten gerutscht. Sie bleibt stehen, kramt herum, während sie in ihrem tiefen Alt die Melodie von Happy Days summt. Ertastet den Schlüsselbund und zieht ihn heraus, während gerade das Handy fiept, um ihr anzuzeigen, dass sie eine SMS erhalten hat.
    Bemerkt ein paar Augenblicke lang nicht, dass jemand hinter ihr steht.
    Zuckt zusammen, fährt herum und fuchtelt mit dem Schlüsselbund.
    »Hallo, Carol«, sagt er. »Warst du beim Einkaufen?«
    Carol starrt ihn an, ist sprachlos.
    »Willst du mir nicht eine Tasse Tee anbieten?«, fragt er.

42
    Mrs Peachment muss sich am Ende auf die Truhe setzen, um sie zuzubekommen, und strengt sich beim Festzurren der Lederriemen so an, dass sie ganz rot wird im Gesicht. Sie ist erstaunt, dass sie es geschafft hat, ihr ganzes Leben in einen einzigen Schrankkoffer zu destillieren; es war wochenlange Arbeit gewesen, Kleider und Andenken auszusortieren, Fotos zu studieren, die sie vielleicht nie mehr wiedersehen wird, alles so platt wie nur möglich zu bügeln, damit es möglichst wenig Platz einnimmt. Es gibt so vieles, was sie zurücklassen muss. Ziergegenstände und Schallplatten für das Grammofon, Vorhänge und Bettüberwürfe, von denen sie dachte, sie würde sich nie im Leben von ihnen trennen. Wenn sie sie wiedersieht – falls sie sie je wiedersieht –, werden sie durch die Zeit und den starken Sonnenschein Cornwalls ausgebleicht und nicht mehr die vertrauten Objekte sein. Sie werden in der Zwischenzeit ein völlig anderes Leben geführt haben.
    Ich bin hin und her gerissen. Dieser Krieg raubt einem die Vitalität: Die Ungewissheit, das ständige Gefühl, dass das Leben so, wie man es kennt, allmählich vorüber ist. In Kanada wird das Leben schöner, weniger beängstigend sein, auch wenn die Sorge um Malcolm und die Jungs nie vergehen wird. Aber ach, die Blicke meiner Nachbarn. Ich bin ein Feigling, eine Ratte, die das sinkende Schiff verlässt. Das werden sie mir wohl nie verzeihen. Deshalb verdufte ich mitten in der Nacht, verkrümele mich einfach und lasse nur eine Handvoll Briefe zurück. Aber ich habe zumindest einen legitimen Vorwand. Himmelherrgott, keiner kann behaupten, dass ich nicht gehen und mich nicht um meine armen kleinen Nichten kümmern sollte. Ich habe meine Schwester schließlich nicht aufgefordert, im Atlantik schwimmen zu gehen, oder?
    Soll ich es wagen? Soll ich diese Gelegenheit wirklich beim Schopf packen, das Risiko einer Fahrt über den kalten Atlantik mit seinen drohenden Gefahren auf mich nehmen, um in das Land, wo Milch und Honig fließt, zu gelangen, während meine Nachbarn ein Leben der Plackerei und der Not führen?
    Ich werde ihnen Lebensmittelpakete schicken. Ständig. Schinken und Kekse und Ahornsirup. Ich glaube kaum, dass andere das tun würden, wenn sie Verwandte hätten, die sie unterstützen müssen, geschweige denn Kinder in Not. Ich habe meinen Teil getan. Meinen Beitrag für die Kriegsanstrengungen geleistet. Habe Sammelaktionen aller Art und Verdunkelungspatrouillen organisiert, die Leute trotz häufig äußerst hartnäckigen Widerstands beschwatzt und bedrängt, damit sie ihre Häuser für Fremde öffnen. Jetzt ist ein anderer an der Reihe. Ich bin erschöpft.
    Sie zerrt noch ein letztes Mal an dem Gurt. Eine Tasse Tee, denkt sie. Eine schöne Tasse Earl Grey. Ich habe noch ein wenig übrig. Den Rest werde ich für Patsy dalassen, wenn sie kommt, um das Haus zu übernehmen. Sie wird sich darüber freuen.
    Das Telefon, dessen Läuten durch das Haus schrillt, reißt sie aus ihren Gedanken. »Menschenskind«, sagt sie laut, obwohl niemand sie hören kann, und hastet vom Treppenabsatz, auf dem sie gepackt hat, in die Eingangshalle hinunter, wo der Apparat auf einer viktorianischen Konsole steht, die sie von einer

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