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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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Decke zu schlüpfen. Sie hat heute achtzehn Betten bezogen und von oben bis unten sämtliche Gästezimmer gesaugt. Morgen muss sie freundlich und herzlich sein und achtzehn Handtuchgarnituren austeilen, einem halben Dutzend Erwachsenen die Holzvorräte, Waschküchen und Garagen zeigen. »Dafür habe ich keine Zeit, Yasmin. Geh ins Bett.«
    Sie ist erstaunt, wie streng und entschlossen sie klingt. »Keinen Quatsch mehr«, fordert sie. »Mach schon. Steig rein.«
    Yasmin lässt los, fällt auf die Matratze. In ihren Augen stehen noch immer Tränen. »Bitte, lass mich nicht allein«, sagt sie. »Bitte, Mummy.«
    »Komm schon«, antwortet Bridget. »Mach die Augen zu, und wenn du wieder aufwachst, ist es Morgen. Ich lasse das Licht im Flur an.«
    Ein einzelner Schluchzer. Reine Erpressung, denkt Bridget. Sie weiß, dass sie mich immer rumkriegt, wenn sie auf tragisch macht. Meine ganzen Schuldgefühle, mein großes, weiches Herz. Ich finde es so schwierig, ihr etwas abzuschlagen, weil ich ihr einen so schlechten Start geboten habe. Das ist nicht fair. Ich muss konsequent bleiben. Sie zieht die Daunendecke hoch, sodass sie den Körper ihrer Tochter bedeckt, steckt sie an Hals und Schultern fest, während Yasmin weiterschluchzt. »Das funktioniert nicht«, sagt sie. »Jeder muss schlafen gehen.«
    Sie streicht eine Strähne aus Yasmins Gesicht. »Na also«, sagt sie und zwingt ihre Stimme, beruhigend zu klingen. »Kuschelig und warm. Ist das nicht gleich besser?«
    »Nein«, antwortet Yasmin. »Ich möchte bei dir schlafen.«
    »Na ja, Sinn und Zweck eines eigenen Zimmers ist doch, dass man darin auch schläft. Komm schon, Schatz. Versuch’s noch mal. Du gewöhnst dich bestimmt daran, das verspreche ich dir.«
    Yasmin straft sie mit ihrem Schweigen.
    »Jetzt dreh dich einfach um und schlaf«, befiehlt Bridget.
    Brav dreht Yasmin dem Raum den Rücken zu, nimmt ein Mittelding zwischen Embryo- und Gebetshaltung ein. Bridget beugt sich vor und drückt ihr einen Kuss auf den Haaransatz, unmittelbar vor ihrem Ohr. »Gute Nacht«, murmelt sie. »Schlaf gut, mein Schatz, und träum schön.«
    Yasmin sagt nichts. Schnieft nur.
    »Jetzt sei nicht beleidigt«, sagt Bridget. »Ich sehe dich morgen früh. Denk dran, dass ich dich lieb habe.«
    Keine Antwort. Es ist erstaunlich, wie früh Kinder kapieren, dass eine der effektivsten Strafen überhaupt darin besteht, auf liebevolle Worte nicht zu reagieren.
    Bridget geht durchs Zimmer, bleibt in der Tür stehen und knipst das Licht aus. »Gute Nacht, mein Schatz«, wiederholt sie. Noch immer keine Antwort.
    Ihre Füße fühlen sich an, als seien sie auf dem Sisalteppich im Flur festgeklebt. Was immer sie von dem Teenager gehalten hat, der ihr den Tee verkaufte, es ist klar, dass das Mädchen wusste, wovon es redete. Sie trottet in ihr Zimmer zurück, lässt ihren Morgenmantel auf den Boden fallen und sinkt erschöpft ins Bett. Die Laken haben sich abgekühlt, während sie in der Küche war. Sie haben noch immer die Falten von der Verpackung – sie konnte einfach nicht widerstehen, sich in der Stadt, als Zeichen für den Neubeginn, neue Bettwäsche zu kaufen – und fühlen sich frisch und luxuriös an. Sie kuschelt sich hinein und horcht auf den Wind. Genießt das Gefühl, es in dieser kalten Nacht warm zu haben und im Trockenen zu sein. Es wird gut, denkt sie. Es wird alles gut …
    Die Tür geht auf. Sie braucht nicht in Richtung des Lichts zu schauen, um zu wissen, dass Yasmin dort steht. Stures kleines Ding, denkt sie. Nimmt einfach kein Nein hin. Das muss sie von ihrem Vater haben.
    Ich befasse mich morgen damit. Jetzt bin ich zu müde. Morgen …
    Kleine Füße tapsen über den Teppich. Die Bettdecke wird angehoben, sodass die kalte Nachtluft hereinströmt. Bridget rückt ein Stück, um Platz zu machen. Ich kann jetzt in der Nacht keinen Wutanfall gebrauchen. Bloß nicht heute Nacht …
    Yasmin schlüpft neben sie. Kuschelt sich an sie und zieht Bridgets Arm über sich. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht schlafen kann«, sagt sie und drückt ihre Nase unter Bridgets Achsel.
    Und Lily schaut zu und wartet, bis der Atem der beiden langsamer und tiefer wird und ein leises Schnarchen zu vernehmen ist.

18
    »Sie haben den Geist also schon gesehen?«
    Bridget lacht und ist dankbar, dass ihr Gesicht von der Tür des Küchenschranks verdeckt ist. Sie stößt ein unsicheres Lachen aus. Ein lautes, nervöses Kichern. Weil das nicht gerade eine Frage ist, mit der man gleich nach dem

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