Das Haus der verlorenen Kinder
Vorwand aus.«
Dinnerparty. Als ob ich das kennen würde. Man stelle sich vor, wir hätten Dinnerpartys gegeben. Wen hätten wir eingeladen? Seine Freunde vom Börsenparkett? Um den für vier Personen gedachten Tisch in unserem Wohnzimmer gequetscht? Eine Dose Cola und eine Fahrt zu Spearmint Rhino war eher ihr Ding, dieser Big Swinging Dicks des Kapitalismus.
»Wie auch immer. Das trägt bloß zur Atmosphäre bei«, stellt Stella fest. »Es gibt kein Haus, das so alt ist, in dem nicht ein paar Geister hausen.«
Ich glaube nicht, dass ich noch mehr von diesem Zeug hören will. Ich muss hier schließlich allein wohnen, erinnerst du dich? Bridget kramt tiefer im Schrank, konzentriert sich darauf, den Glasreiniger zu finden, damit sie das Thema wechseln kann. Er steht natürlich hier, unmittelbar vor ihrer Nase. Lustig, wie man Sachen sehen und doch nicht sehen kann. Passiert einem ständig.
»Da ist er ja«, sagt sie. Sie wusste doch, dass sie ihn irgendwo gesehen hatte. Sie taucht aus dem Schrank auf und reicht ihn Stella.
»Ach, Liebes, vielen Dank«, sagt sie. »Sie sind ein Schatz.« Und sie steht da und hält die Flasche irgendwie unschlüssig in der Hand, als handele es sich um ein altes Artefakt, dessen Zweck ihr nicht recht begreiflich ist.
»Ich helfe Ihnen«, erklärt Bridget resigniert.
»Ach, Liebes«, wiederholt Ms Aykroyd, »vielen Dank.«
Bridget folgt ihr ins Speisezimmer.
Sie hat, um ehrlich zu sein, nicht viel herausbekommen über diese Party. Ganze vierundzwanzig Stunden hat sie gebraucht, bis sie herausfand, wer die Aykroyds auf dem Reservierungsformular tatsächlich waren. Es ist auch nicht gerade hilfreich, dass es unter den Erwachsenen kein verheiratetes Paar zu geben scheint, obwohl sie zwölf Kinder haben – sie denkt, dass es zwölf sind, ist sich jedoch nicht ganz sicher, da es in Haus und Garten die meiste Zeit vor Besuchern aus dem Dorf und dem Bezirk nur so wimmelt. Und keinem scheint es etwas auszumachen. Obwohl sie glaubt, dass ein Paar – die richtigen Eltern dieser Kinder mit den vielen Eltern – möglicherweise irgendwann in der Vergangenheit doch in einer anderen Kombination miteinander verheiratet war, ist das allem Anschein nach für keinen von ihnen von besonderer Bedeutung.
Genau das hätte ich auch tun sollen, denkt sie. Es scheint ja nichts auszumachen, wenn man unverheiratet zusammenlebt, solange man vornehm genug daherredet. Oder ordinär genug. Es sind nur wir aus der unteren Mittelschicht mit unserer Angst, in die Unterschicht abzurutschen, die darauf heutzutage noch Wert legen. Und ich – ich habe Kieran hauptsächlich deshalb geheiratet, weil ich nicht wollte, dass meine Yasmin unehelich aufwächst. Dabei hätte ich offenkundig lieber anfangen sollen, affektiert daherzureden, Samt zu tragen, zu rauchen und dabei eine Zigarettenspitze zu benutzen. Wenn kein Vater auf der Geburtsurkunde vermerkt worden wäre, hätte er nicht halb so viele Waffen in der Hand gehabt, um uns zu traktieren. Keinem hätte es etwas ausgemacht, dass meine Tochter unehelich aufwächst, hätte ich so vornehm dahergeredet wie diese Typen da, und das Sozialamt hätte nie gewagt, sich einzumischen. Bohemiens der Oberschicht scheinen mit einem Verhalten durchzukommen, das man uns Normalsterblichen niemals durchgehen lassen würde: überall Asche abzuschnipsen, einfach die Schlafzimmer zu tauschen, im Dorf einzufallen und mit einem ganzen Haufen von Leuten für eine Party zurückzukehren. Nennmich-Stella scheint hier in der Gegend jeden zu kennen. Sie wurde, wie sie sagt, im benachbarten Tal geboren und kommt jedes Jahr an Weihnachten hierher, »um die Orte meiner fürchterlichen Kindheit zu besuchen, ohne mich dem Leben dort wirklich stellen zu müssen«.
Bridget nimmt es ihnen jedoch nicht krumm. Das sind recht lustige Leute, recht freundlich und anspruchslos, solange einem die Tatsache nichts ausmacht, dass man in den kommenden Wochen an den seltsamsten Stellen Zigarettenkippen finden wird. Genau genommen ist es nett, nach einer Woche, in der die Stille im Haus zwar nicht unbedingt bedrückend war, in der ihr jedoch klar wurde, wie groß dieses Haus tatsächlich ist, nun das Gequassel und Kinderstreitereien und am Abend das Singen zu hören. Ein Paar unter diesen Gästen tritt scheinbar auf der Bühne auf – Bridget glaubt sogar, einen von ihnen aus einer jener Serien von BBC2 wiederzuerkennen, in denen die Leute endlos über sturmgepeitschte Landschaften reden und ansonsten eigentlich
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