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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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Verdammt. Ich habe mehr als eine Stunde geschlafen. Jetzt werde ich wohl die ganze Nacht wach liegen.
    Das Babyfon knackt, erwacht zum Leben.
    »Ist schon in Ordnung … mach weiter … fass es an …«
    Bridget runzelt die Stirn.
    »Sie wird es nie erfahren. Sie ist unten, das hab ich dir doch schon gesagt.«
    Yasmin klingt – anders. Aber das ist so, wenn man flüstert. Was hat sie nur vor?
    Der nächste Satz wird mit großer Dringlichkeit ausgesprochen: »Beeil dich! Beeil dich! Ich kann sie hören! Sie kommt!«
    Elf Uhr abends. Wie lange ist sie schon wach? Bridget richtet sich auf, schaltet den Fernseher aus.
    »Mir ist kalt. Mir ist so kalt. Ach, lass das … ich möchte zu meiner Mum.«
    Um Himmels willen. Sucht sie nach mir? Ich sollte lieber …
    Ein schrilles Kichern. Verächtlich. Was geht da vor? Was macht sie bloß?
    Die Stimme spricht laut. Das klingt überhaupt nicht nach Yasmin. »Hör auf! Hör auf! Lass das! Hör auf!«
    Im Nu ist Bridget auf den Beinen. Ist okay, Baby, ich bin auf dem Weg zu dir. Sie lässt den Becher, die Decke zurück, nimmt nur das Babyfon mit. Rennt durch das Haus, hat es plötzlich sehr eilig. Ich komme, Darling. Ich komme …
    Wieder ein Lachen. »Sie wird es nicht erfahren … kapierst du das nicht? Sie wird es nicht erfahren. Sie wird sagen, dass es deine Schuld ist. Es ist immer deine Schuld …«
    Sie kommt an der Treppe an, die zur Wohnung hinaufführt. Ruft hinauf: »Yasmin?«
    Sie rennt die schmale Treppe hinauf, stößt gegen die Wände. Hier ist es dermaßen kalt. Wie konnte ich sie nur allein lassen, wo es doch so kalt ist? Es fühlt sich an, als herrschten hier Minusgrade.
    Im Korridor ist es still, er ist leer. Bridget späht im Vorbeigehen in die Zimmer, die leere Küche, das dunkle Wohnzimmer. Mein Baby. Ich komme. Sie rennt über den Sisalteppich, legt die Hand auf die Klinke von Yasmins Zimmertür. Sie ist fast gefroren, wie ein Stück Eis. »Ist schon gut«, sagt sie beim Eintreten. »Ich bin da.«
    Nichts regt sich. Nichts rührt sich. Das Nachtlicht brennt in der Ecke und wirft sich drehende Monde, Sterne und Kometen an die Wände und die Dachschrägen. Sie steht in der Tür, ihr Atem ist als Dampf in der Luft sichtbar. Hier drin ist es kalt wie in einem Grab.
    »Yasmin?«, fragt sie unsicher.
    Das Kind schläft. Yasmin hat sich unter die Bettdecke gekuschelt, deshalb ist nur ihre Stirn zu sehen, eine Strähne dunkler Haare, die lockig auf dem Kissen liegt. Wieder ist das Gästebett zerwühlt, und das Bettzeug hängt wie eine Schlammlawine auf den Boden.
    Bridget blickt auf das Babyfon in ihrer Hand hinab. Das Kontrolllicht ist aus, stellt sie fest. Sie drückt mit dem Daumen den Ein- und Ausschaltknopf, hört es klicken und sieht, dass das Licht angeht. Ich muss es beim Rennen versehentlich ausgeschaltet haben.
    Sie kniet sich neben das Bett. Zieht die Decke vom Gesicht ihrer Tochter, um nachzusehen. Sie schläft. Eindeutig. Tut nicht nur so. Ihr Mund ist entspannt und ihre Haut ein wenig feucht.
    »Es ist alles in Ordnung, Darling.«
    Yasmin kneift die Augen zusammen, weil sie nicht gestört werden will, dann schlägt sie sie auf. Starrt ihre Mutter an, als würde sie sie nicht erkennen. »Wa…«, sagt sie.
    »Es ist alles in Ordnung. Schlaf weiter. Du hast nur geträumt.«
    Yasmin starrt sie an, verständnislos, schlaftrunken. Ich hole ihr noch eine Decke. Die Heizung hier muss kaputt sein. Ich werde den Mut aufbringen und Tom Gordhavo sagen müssen, was hier alles nicht funktioniert. Es ist ja nicht gut, hier alles verlottern zu lassen, bloß weil ich Angst habe, als schwierig dazustehen. »Schlaf weiter«, sagt sie.
    Yasmin dreht sich wieder auf die Seite, vergräbt das Gesicht in ihrem Kissen. Bridget steht auf, nimmt eine Decke von dem Haufen auf dem Gästebett und legt sie über sie. Klemmt sie fest. »Gute Nacht«, flüstert sie.
    Im Korridor, als sie gerade erschöpft auf dem Weg in ihr eigenes Bett ist, erwacht das Babyfon erneut zum Leben. »Gute Nacht«, antwortet es. »Nacht, Nacht.«

34
    Carol – in einem schwarzen knöchellangen Ledermantel und mit zehn Zentimeter hohen Absätzen – wirft einen Blick auf den Weg und die Stufen dahinter und bleibt wie angewurzelt stehen.
    »Tut mir leid«, sagt sie, »aber es kommt gar nicht in Frage, dass ich da hinaufgehe. Selbst wenn ich es bis da oben schaffen würde, ohne mir das Genick zu brechen, würde ich nie mehr heil herunterkommen.«
    »Stadtmensch«, sagt Yasmin. »Tante Carol ist ein

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