Das Haus der verlorenen Kinder
allerdings. Zurzeit bin ich so leicht aus der Fassung zu bringen, dass ich sicher nicht schlafen kann, wenn ich mir das anschaue. Ich sehe ja ohnehin schon Gespenster.
Yasmin bewegt sich im Schlaf, murmelt etwas, verstummt wieder. Die Stille draußen vor dem Fenster sagt ihr, dass es weiter schneit. Sie kuschelt sich noch mehr zusammen, schaut sich fasziniert die Versteigerung einer wasserdichten Uhr und eines Satzes Star Wars Aufnäher an. Findet etwas, in dem Shirley MacLaine mitspielt. Bleibt bei diesem Sender.
Ihr wird klar, dass sie erstaunlich müde ist. Ich bräuchte jetzt nur eine schöne warme Katze auf meinem Schoß, dann würde ich innerhalb von Sekunden einschlafen. Shirley trägt farblich nicht zusammenpassende Kleider und sagt schockierende Dinge, während eine jüngere Frau die Augen verdreht. Das ist gut. Schöner Hintergrund. Sie zieht die Arme unter der Decke hervor und schlägt die Zeitung auf. Irgendjemand von der Big Brother Staffel des letzten Jahres hat sich in einem Nachtclub volllaufen lassen. Eine Gruppe Fußballspieler hat sich in einem Nachtclub betrunken. Zwei junge Männer sind zwei Straßen von ihrer Wohnung in Streatham entfernt in ihrem Auto erschossen worden. Tom Cruise ist allmählich völlig durchgeknallt. Madonna lässt ihr Haus schon wieder umbauen. Nikola, 23, aus Purley, findet, dass die Regierung sich mehr für Recht und Ordnung einsetzen müsste, und hat ihr Oberteil ausgezogen, um das zu untermauern. Ein paar Schauspieler von EastEnders haben sich in einem Nachtclub betrunken. Am ersten Tag des Schlussverkaufs ist es bei Harrods zu einer Schlägerei zwischen drei Männern gekommen, die alle den gleichen Plasma-Fernseher haben wollten. Der Fernseher ist dabei zu Bruch gegangen, und die Drei sind verhaftet worden. Ken Livingstone möchte den Admirality Arch abreißen lassen, um mehr Platz für Gelenkbusse zu schaffen.
Ich vermisse London überhaupt nicht, denkt sie. Diese Ellenbogengesellschaft und die vorherrschende Meinung, man sei nur jemand, wenn man viel besitzt. Sie gähnt, nippt an ihrem Tee. Die junge Frau ist aus dem Haus gestürmt, Shirley macht ein ungerührtes Gesicht und poliert eine Vase.
Mystic Meg behauptet, dass jemand aus der Vergangenheit an sie denkt. Und dass man die Liebe findet, wenn Freunde zusammen scharf gewürzte Gerichte essen.
Die Zeilen verschwimmen ihr vor den Augen. Ich bin müder, als ich dachte. Vielleicht hätte ich lieber ins Bett gehen sollen, anstatt herunterzukommen. Ich würde jetzt ja nach oben gehen, aber ich kann mich nicht aufraffen. Ich warte noch ein bisschen, ruhe mich aus, bis ich die Energie aufbringe.
Sie lässt die Zeitung auf den Boden fallen. Starrt zur Decke hinauf. Die Zimmer sind im Vergleich zu ihrer Größe recht niedrig. Sie kann jedes Detail der Maserung in den Balken erkennen, die von der Lampe auf dem Beistelltisch angestrahlt werden und reliefartig wirken. Da sind Gesichter im Holz; lange, verzweifelte Gesichter: Die Geister der Bäume, die ihrem früheren Leben nachtrauern. Bridget blinzelt ein paar Schlaftränen weg. Versucht, sich auf den Film zu konzentrieren. Stellt fest, dass die Schauspieler ebenso gut vom Mars kommen könnten, so wenig versteht sie. Sie drückt auf die Fernbedienung und schaltet den Apparat auf Stumm. Schließt die Augen, nur für eine Sekunde.
»Mir ist kalt … mir ist so kalt …«
Bridget hat den Eindruck, sie schwimme unter Wasser, sie sei in einen tiefen, dunklen See gefallen, dessen Strömung sie in die Tiefe zu ziehen versucht. Wer war das? Wer hat das gerade gesagt?
»Wo sie ist? Sie ist unten … mach dir keine Sorgen … wir haben jede Menge Zeit …«
Flüstern. Kein Sprechen. Ich schlafe. Ich bin eingeschlafen.
Sie schwimmt nach oben, kämpft, taucht auf. Irgendetwas hat mich festgehalten. Ich muss …
Sie fährt hoch, und ihre Glieder zittern. Hört ein Krächzen, das aus ihrem Hals kommt, und schaut sich um. Sie gerät in Panik, weil sie nicht weiß, wo sie ist. In irgendeinem großen und dunklen Haus … Rospetroc. Ich bin im Salon in Rospetroc. Ich habe geträumt. Ich muss für einen Moment eingeschlafen sein.
Ihre Glieder unter der Decke sind furchtbar schwer, ihre Körpertemperatur ist gesunken, weil sie unter so einer dünnen Decke dagelegen hat. Sie hebt den Kopf und blickt zum Bildschirm. Er ist schwarz: In der Mitte laufen weiße Buchstaben durch. Mensch, ich muss ja eine ganze Weile geschlafen haben. Der Film ist zu Ende. Wie viel Uhr ist es?
Fast elf.
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