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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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»du kannst sie nicht alle über einen Kamm scheren.«
    Ich wünschte mir, ich hätte deine Zuversicht, denkt Bridget. Dein Selbstbewusstsein, sich abzubürsten und wieder von vorn anzufangen. Das haben Flugbegleiter so an sich, oder? Die sind es gewöhnt, an fremden Orten zu sein, mit anderen Langstreckencrews auf Anhieb ein Verhältnis aufzubauen, und das überträgt sich auf ihre Persönlichkeit.
    »Das ist, wie wenn man vom Pferd fällt«, stellt Carol fest.
    »Schöner Vergleich.«
    »Nein, aber … je länger du es sein lässt, desto mehr Angst hast du.«
    »Na ja, es ist jetzt über drei Jahre her«, sagt Bridget. »Seit … du weißt schon …«
    »Tatsächlich? So lange? Das hatte ich ganz vergessen. Mir kommt es so vor, als sei er ständig da.«
    »Na ja, das war er ja auch, gewissermaßen.«
    Yasmin ist beim Café angekommen und balanciert davor auf der Mauer der Ablaufbahn. Wie immer bekommt Bridget einen gewaltigen Schrecken, versucht aber, sich am Riemen zu reißen. Die Mauer ist wahrscheinlich ein paar Meter breit, und wenn du deine Tochter jedes Mal bremst, wenn sie etwas Gefährliches macht, dann wird sie am Ende zu einem dieser ängstlichen kleinen Mädchen werden. Eines dieser ängstlichen kleinen Mädchen, wie du eines warst, die nach einem großen Mann Ausschau halten, damit er sie rettet. Ihr wird schon nichts passieren, da sitzen drei Leute auf der Bank an einem der Tische. Wenn es wirklich gefährlich wird, werden die gewiss eingreifen.
    »Ja«, sagt Carol, »das stimmt wohl.«
    Ich muss sie einfach fragen: »Ist er … du weißt schon, noch mal gekommen?«
    Carol kichert. Es klingt ein wenig draufgängerisch. »Ach, mach dir keine Sorgen. Das regle ich schon.«
    Dann war er also da.
    »Ich habe ihm nicht gesagt, wo du bist, also sei unbesorgt.«
    – »Das habe ich keine einzige Sekunde vermutet.«
    »Genau genommen habe ich etwas von Derbyshire durchblicken lassen. Und dann so getan, als hätte ich es nicht gesagt. Wahrscheinlich ist er jetzt gerade dabei, den Norden zu durchkämmen.«
    Das hoffe ich. Nein, das hoffe ich nicht. »Mir wäre es lieber«, sagt sie, »er würde die Suche ganz aufgeben.«
    »Ja, nun, da können wir nur hoffen. Hat er angerufen?«
    Bridget nickt. »Mehrmals. Ich denke, ich werde mir ein neues Handy kaufen. Und das hier wegwerfen.«
    »Kauf dir doch einfach eine neue SIM-Karte. Mehr brauchst du gar nicht.«
    »Ja, vermutlich. Das Handy scheint unten in diesem Tal ohnehin nur sporadisch zu funktionieren. Die Hälfte der Zeit hat es gar keinen Empfang. Deshalb habe ich nicht abgenommen, als du neulich abends angerufen hast.«
    »Ach, richtig. Hast du denn noch kein Festnetz?«
    »Nein. Im Erdgeschoss ist einer, aber auf diesem Apparat kann man nur angerufen werden. Und ob du es glaubst oder nicht, man steht immer noch ein paar Monate auf der Warteliste, bis eine neue Leitung zur Wohnung gelegt wird.«
    »Das überrascht mich nicht«, antwortet Carol. »Ach, hab ich’s dir schon erzählt? Ich glaube, ich könnte einen Job kriegen.«
    Bridget bleibt wie angewurzelt stehen. »Carol! Nein! Fantastisch! Was denn?«
    »Virgin Airlines«, antwortet Carol. »Transatlantik. Sieht so aus, als sei ihnen klar geworden, dass die alten, die über Vierzigjährigen, eigentlich ganz gut darin sein könnten, die Besoffenen unter Kontrolle zu halten.«
    »Ach, das ist ja wunderbar!« »Klar«, sagt Carol. »In dem alten Hund steckt noch Leben. Nicht etwa, dass ich mich als Hund bezeichnen möchte …« Bridget grinst. »Und, wann fängst du an?«
    »Je früher, desto lieber. Ich muss nur die ärztlichen Untersuchungen machen lassen und einen Auffrischungskurs absolvieren, und dann bin ich hoffentlich in einem Monat oder so schon in der Luft. Ich kann es kaum erwarten, das kann ich dir sagen. Ich dachte allmählich schon, dass es ganz vorbei ist.«
    »Ich weiß.«
    Beide denken an das letzte Jahr zurück: Wie sie es gemeinsam durchstanden, die schwindenden Ersparnisse, wie Carol immer wieder irgendwelche öden Büroaushilfsjobs annahm, weil Servierwagenschieberinnen nicht wirklich tippen lernen können. Selbst Carols unerschütterliche Fröhlichkeit war allmählich ein wenig geschwunden. Es gab viele Tage, an denen sie sich morgens auf der Treppe über den Weg liefen, und die Ringe unter Carols Augen dadurch betont wurden, dass ihr noch immer Tränen in den Augen standen.
    »Es sieht also danach aus, als ginge es bei uns beiden wieder bergauf«, stellt Carol fest. »Ich sag dir was,

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