Das Haus der verlorenen Kinder
Plastikbecher löffelt und ihn mit kochendem Wasser füllt. »Schwarz oder mit Milch?«
»Mit Milch, bitte.«
Sie löffelt Coffee Mate darüber, rührt kräftig um, bis sich die Klümpchen aufgelöst haben.
»Zucker?«
Bridget schüttelt den Kopf. »Nein, danke.«
»Und«, fragt sie. »Wessen Mutter sind Sie?«
»Ach«, antwortet Bridget, »Von Yasmin. Yasmin Sweeny.«
»Ach, richtig. Die nette Yasmin.«
Bridget strahlt. Yasmin besucht die Schule erst seit ein paar Wochen, und sie ist sehr froh, dass sie einen guten Eindruck gemacht hat.
»Und wo ist Yasmin heute Abend? Doch wohl nicht allein zu Hause, oder?«
Bridget errötet. Sie macht wohl nur Spaß. Sie kann dich doch nicht ernsthaft für eine so pflichtvergessene Mutter halten. Schau, sie lächelt. Sie ist den etwas vorwurfsvollen Tonfall der Sozialarbeiter derart gewöhnt – der Sozialarbeiter, die ihr eigentlich hätten helfen sollen –, dass sie in letzter Zeit automatisch meint, diesen Tonfall aus dem Munde jeder Autoritätsperson herauszuhören. »Sie ist daheim in Rospetroc. Eine Freundin von mir ist zu Besuch. So etwas wie ihre Patentante. Wenn ich mich nicht irre, ist sie inzwischen in einem wahren Zuckerrausch.«
Die Frau lacht. »Dafür sind Patentanten ja da. Sie aufzudrehen und dann wieder zurückzugeben, sobald die Sache außer Kontrolle gerät. Wie lebt es sich so auf Rospetroc? Schön, dass da endlich eine Familie eingezogen ist.«
Das ist ja alles schön und gut, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wer Sie sind. »Entschuldigung«, sagt sie, »Sie sind …?«
»Ach – du meine Güte.« Sie streckt ihr die Hand entgegen. »Tut mir so leid. Man gewöhnt sich in kleinen Gemeinden wie dieser daran, davon auszugehen, dass jeder weiß, wer man ist. Sally Parsons. Ich unterrichte Mathe und Naturwissenschaften. Na ja, man kann es wohl kaum Naturwissenschaften nennen. Rechnen und wie alles wächst. Yasmin ist sehr gescheit. Sie müssen stolz auf sie sein. Wir haben erwartet, dass sie hintendran ist, da sie ja von einer öffentlichen Londoner Schule kommt, aber ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass sie irgendwelche Probleme haben wird.«
»Oh, Gott sei Dank!«
»Haben Sie sich Sorgen gemacht?«
»Ich weiß nicht«, antwortet Bridget. »Das ist so eine Sache mit den Elternabenden. Die machen einen einfach nervös, selbst wenn man der Meinung ist, dass alles zum Besten steht.«
»Ich erinnere mich«, sagt Sally. »Ich habe immer etwa drei Stunden gebraucht, bis ich fertig war, habe mich immer wieder umgezogen, um nicht zu – flott – auszusehen. Es war, als stünde man vor der Tür der Direktorin und wartete auf die Tracht Prügel. An Ihrer Stelle würde ich mir aber keine Sorgen machen. Wir sind hier sowieso sehr nachsichtig, aber ich denke, niemand wird irgendwelche Klagen in Bezug auf Yasmin haben.«
»Puuh«, macht Bridget. Nippt an ihrem Kaffee. Verbrennt sich die Lippen. Ich sollte mich eigentlich erinnern, dass Instantkaffee meist zu heiß ist. Es ist fast so, als würde man das Wasser direkt aus dem Kocher trinken.
»Und, wie geht es Tom Gordhavo? Ich habe ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Mensch, was war das früher für ein Flegel.«
»Tom Gordhavo ist hier zur Schule gegangen?«
»Das war so üblich. Nur in die Grundschule. Um sich unter die nächste Generation von Pächtern zu mischen, bis er auf die weiterführende Privatschule gegangen ist.«
»Ach, ja klar. Nun, es geht ihm gut, soweit ich weiß. Allerdings habe ich ihn nur ein Mal gesehen, seit ich hierher gekommen bin. Er hält sich – ziemlich heraus, wie das bei Chefs eben so ist.«
»Hmmm«, sagt Sally. »Ich kann nicht behaupten, dass mich das überrascht. Er hat das Haus nie gemocht.«
»Das höre ich ständig.«
»Ja, das glaube ich Ihnen gern. Um ehrlich zu sein, ich bin erstaunt, dass sie es damals nicht verkauft haben, als die alte Mrs Blakemore gestorben ist. Ehrlich, ich denke, das arme alte Haus hätte wahrscheinlich einen Neustart verdient gehabt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Na ja. Keine glückliche Familie. Ein Haus wie dieses hat ein glücklicheres Leben verdient. Nicht etwa, dass ich Ihnen den Job wegnehmen wollte, keineswegs.«
»Na klar.«
»Es ist einfach eine Schande, das ist alles. Manche Familien scheinen vom Pech verfolgt zu sein, nicht wahr? Selbst die Reichen. Und außerdem kann ein Haus nicht mehrere Jahrhunderte dastehen, ohne ein bisschen Geschichte abzubekommen, oder?«
Seltsam, dass alle davon auszugehen
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