Das Haus des Buecherdiebs
Gemälden in Briefmarkengröße und Konstruktionen aus Flaschenkorken« ihren Ausdruck fand. In diesen unscheinbaren Visionen vereint sich die Liebe zum Buch und die Freude an der Literatur auf schwerelose Weise.
Es gibt aber natürlich auch eine krankhafte, morbide und wahnsinnige Art, Bücherliebe und Literaturbegeisterung zu vereinen. An geheimen, lichtlosen Orten geht die Bibliomanie nahtlos in hemmungslosen Fetischismus über.
Camille Flammarion galt Ende des 19. Jahrhunderts als ein Autor populärer, in poetischer Sprache verfasster Sachbücher zu Themen wie »Gibt es Leben auf anderen Welten?« oder »Gibt es ein Leben nach dem Tod?«. Einmal machte er einer Gräfin, die überaus schöne Schultern |138| besaß, ein Kompliment zu ihrer zarten Haut. Die Umschmeichelte war von den galanten Worten des berühmten Schriftstellers derart gerührt, dass sie sogleich Vorkehrungen traf: Sie vermachte ihrem Verehrer für den Fall ihres Todes die Haut ihrer Schultern und ihres Rückens als Andenken. Und tatsächlich benutzte Flammarion später das edle Material, um ein Exemplar seines erfolgreichsten Buches, »Ciel et Terre« (»Himmel und Erde«), damit binden zu lassen.
Weniger gut belegt ist die Geschichte eines russischen Poeten, der seine Sonette in die Haut seines Beins binden ließ, das ihm nach einem Jagdunfall amputiert worden war, und das Büchlein anschließend der Dame seines Herzens schenkte. Welch reizende Idee! Und doch: Die Haut eines Männerbeins käme wohl eher als Einband für »Die Einsamkeit des Langstreckenläufers« von Alan Sillitoe in Frage als für ein paar verliebte Sonette.
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|139| Virginia Woolf und die Hogarth Press
Die Druckmaschine ist im Esszimmer, in der Speisekammer, und bald ist sie mit uns im Bett.
Virginia Woolf
Leonard Woolf erinnerte sich gern an die weisen Empfehlungen seiner Kinderfrau, die sich in allen möglichen Lebenslagen stets als überaus nützlich erwiesen hatten. Eine ihrer großen Weisheiten war, dass die Seele Schaden nehme, wenn sie nur durch Arbeit belastet und nie durch Spiel entlastet werde. Da sich Leonard Woolf große Sorgen um seine vollkommen überarbeitete Frau machte, suchte er nach dem richtigen Spiel, das ihre verletzliche Seele entlasten könnte.
Virginia Woolf hatte eine schwere Zeit hinter sich. Nach ihrer Heirat im August 1912 und der Vollendung ihres Debütromans »Die Fahrt hinaus« im darauffolgenden Jahr hatte sie unter einer manisch-depressiven Psychose gelitten und einen Selbstmordversuch unternommen. Erst Ende des Jahres 1915 kehrte sie nach wiederholten Aufenthalten in Privatkliniken nach Hause zurück und konnte im Hogarth House in Richmond ein verhältnismäßig normales Leben führen. Dennoch fürchtete ihr Mann ständig einen Rückfall, wenn er sah, mit welcher angespannten Konzentration sie an ihrem neuen Roman »Nacht und Tag« schrieb: »Der Roman wurde |140| zu einem Teil von ihr, und sie selbst wurde von dem Roman absorbiert.«
Leonard versuchte seine Frau zunächst durch Spaziergänge und Ausflüge nach Richmond Park und Hampton Court abzulenken, doch Ende 1916 vereinbarten sie eine andere Art der Erholung: Sie wollten gemeinsam das Druckerhandwerk erlernen. In der St. Bride’s Druckerschule in London teilte man ihnen jedoch mit, dass die Zahl der Lehrlinge streng begrenzt sei und zudem nur Gewerkschaftsmitglieder angenommen würden. Eine Schwarzkünstlerkarriere sollte den beiden offenbar verwehrt bleiben. Einige Monate später entdeckten die Woolfs auf einem ihrer Nachmittagsspaziergänge im Schaufenster der Excelsior Printing Supply Company eine schmucke kleine Handpresse samt Zubehör. Leonard berichtet in seinen Memoiren, dass sie die Geräte durch das Fenster anstarrten »wie zwei hungrige Kinder Brötchen und Kuchen vor einem Bäckerladen«. Sie wollten die Maschine unbedingt kaufen, waren aber unsicher, ob sie ohne Ausbildung damit würden umgehen können. Der Verkäufer tröstete sie: Es sei nicht nötig, eine Druckerschule zu besuchen. Alles, was sie an Wissen und Informationen benötigten, sei in einer sechzehnseitigen Broschüre enthalten, die der Maschine beiliege. Sie müssten lediglich die Anweisungen genau befolgen.
Als Virginia und Leonard Woolf den Laden glücklich verließen, hatten sie eine Handpresse, Lettern und Zubehör im Wert von rund 20 Pfund bestellt. Die Maschine war so klein, dass sie auf einen gewöhnlichen Küchentisch |141| gestellt werden konnte. Und ihre Bedienung war wirklich recht
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