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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Falltür und gingen gebückt durch die Luftschächte bis sie auf einen breiten Gang trafen, in dem Jupiter endlich wieder aufrecht gehen konnte. Obwohl es keine Anzeichen gab, daß sie verfolgt oder beobachtet wurden, senkten sie ihre Stimmen zu einem Flüstern.
    »Warum hat niemand versucht, das Portal zu öffnen?« fragte Jupiter im Gehen.
    »Wenn Sie die Kirche wären … würden Sie dann das Tor zur Hölle öffnen?«
    »Solange niemand nachschaut, weiß keiner, ob dahinter tatsächlich die Hölle ist.«
    »Nein, natürlich nicht. Heutzutage nimmt das auch niemand mehr ernsthaft an. Aber genaugenommen würde das die Sache nur noch schlimmer machen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die Adepten sind nicht die einzigen, die von dem Tor wissen. Der Papst, die Kardinale, eine Menge Männer wissen Bescheid darüber. Sehen Sie, jahrhundertelang glaubte man, daß dies wirklich das Tor zur Hölle ist, und seine Existenz war eines der geheimen Fundamente der katholischen Kirche. Solange auch heute nichts davon nach außen dringt, ist das Geheimnis sicher. Aber stellen Sie sich vor, man würde bekanntgeben, daß es dieses Tor gibt … Die Wissenschaft würde sich dafür interessieren und würde Nachforschungen anstellen wollen. Es würde bekannt werden, daß man den Vatikan irgendwann einmal als Siegel der Hölle errichtet hat … und um so größer wäre das Interesse an dem, was sich hinter dem Tor verbirgt. Was aber, wenn man es tatsächlich öffnen würde und dahinter wäre … nichts! Vielleicht ein System von Grotten oder eine Halle, oder ein paar alte Verliese wie auf Piranesis Kupferstichen. Aber keine Hölle. Was erzählt man in einem solchen Fall den zig Millionen Gläubigen? Daß die Kirche einem Irrtum aufgesessen ist? Daß es gar keine Hölle gibt, oder zumindest nicht hier, an diesem Ort? Können Sie sich den weltweiten Spott vorstellen, wenn der Papst vor die Mikrofone treten und zugeben müßte, daß seine Vorgänger sich geirrt haben, als sie den Vatikan wie einen Pfropfen auf dieses Tor setzten?« Janus schüttelte energisch den Kopf. »Aus der Sicht der Kirche muß die Existenz des Daedalusportals für immer geheim bleiben. Ebensowenig darf man versuchen, es zu öffnen. Und … womit wir wieder beim Thema wären … das gleiche gilt für das zweite Tor, das Piranesi entdeckt und vielleicht sogar geöffnet hat. Wenn man hindurchgehen würde, wenn man Expeditionen hineinschicken und irgendwann von der anderen Seite auf das Haupttor stoßen würde … Verstehen Sie, die Kirche kann das nicht zulassen! Und sie hat die Adepten der Schale beauftragt, für die Wahrung des Geheimnisses zu sorgen. Ganz gleich, um welchen Preis.«
    Coralina brach unerwartet ihr Schweigen. »Warum nennen Sie es das Daedalusportal?« Und Jupiter ergänzte: »Cristoforo hat von etwas gesprochen, das er das Haus des Daedalus nannte.«
    »Das Haus des Daedalus …«, wiederholte Janus. »Dann hat er also davon gewußt.«
    »Wovon?«
    »Von der Legende. Den alten Gerüchten. Dem Mythos. Wie auch immer Sie es nennen wollen.«
    Janus blieb vor einer Öffnung in der Wand stehen und winkte Jupiter und Coralina hindurch. Auf der anderen Seite folgten sie einem Gang, dessen Wände mit trockenen Moosteppichen bedeckt waren.
    »Wissen Sie«, fuhr der Geistliche dann fort, »natürlich sind immer eine Menge Gerüchte durch die Säle des Vatikans gegeistert, über das Tor und was dahinter sein mag. Manche Geschichten waren einfach nur fromme Wünsche, Spinnereien, die ein paar Besserwisser verbreitet hatten. Andere waren sachlicher, geprägt vom aufkommenden Rationalismus. Aber dann gab es auch noch solche, die so verrückt waren, daß sie es beinahe schon wieder mit dem, was man für die Wahrheit hielt -dem Eingang zur Hölle -, aufnehmen konnten. Eine davon war die Geschichte vom Baumeister Daedalus und seinem Vermächtnis … Sie wissen, wer Daedalus war, oder?«
    Jupiter und Coralina nickten stumm.
    »Dann wissen Sie vermutlich auch, daß es ihn nach seiner Flucht von Kreta und dem Tod seines Sohnes Ikarus ins heutige Italien verschlagen hat.«
    »An die Küste Siziliens«, sagte Coralina.
    Janus ließ den Schein seiner Taschenlampe über die Wände huschen. »Eine Legende besagt, daß Daedalus von dort aus nach Norden wanderte. Es heißt, es habe ihn nach langer Wanderung in dichter besiedelte Regionen verschlagen … in das antike Latium. Und man sagt, daß er hier, an diesem Ort, ein ungeheuerliches Bauwerk errichten ließ. Sein

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