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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Schulter warf, als er eines Tages entschied, er sei lange genug der König der Unterwelt gewesen. Er übergab die Amtsgeschäfte an seine Großfürsten, schloß die Tür hinter sich ab und ging einfach davon.«
    Trojan blieb ganz ernst, als er hinzusetzte: »Ist das die Wahrheit, die Sie hören wollten?«
    »Nein, das wissen Sie so gut wie ich«, entgegnete Jupiter kopfschüttelnd. »Es heißt, die Adepten handeln im Auftrag des Heiligen Stuhls. Janus sagte, es sei Ihr Ziel, die Existenz der Carceri oder des Hauses des Daedalus oder wie immer Sie diesen Ort nennen wollen, zu vertuschen. Aber ich glaube das nicht. Sie haben selbst gesagt, Landini sei ein Handlanger. Aber Sie, Professor? Warum haben Sie sich auf all das eingelassen?«
    »Vielleicht aus Neugier?«
    Jupiter spürte, wie die Konzentration auf ein Thema sein Denken stabilisierte. Ihm war noch immer schwindelig, doch allmählich gelang es ihm, wieder klar zu denken. »Neugier … ja, vielleicht. Für eine Weile. Aber Sie sind schon so lange in Rom, und schon so lange Mitglied der Adepten. Würde es Ihre Neugier befriedigen, diese beiden Tore … das Daedalusportal und Piranesis Nebeneingang -für immer geschlossen zu halten? Nein, Professor, das nehme ich Ihnen nicht ab.«
    Trojan brachte den Rollstuhl neben ihm zum Stehen, musterte ihn ausdruckslos aus der Nähe, dann wendete er und fuhr zur Wand hinüber. Dort begann er mühsam, sich mit Hilfe des rundum verlaufenden Haltegriffs aus dem Sitz zu ziehen.
    »Sagen Sie mir, was Sie sehen«, verlangte er, nachdem er einigermaßen aufrecht stand und mit bebenden Händen die Stange umklammerte. »Kommen Sie, sagen Sie’s schon! Was sehen Sie vor sich?«
    Jupiter holte tief Luft. »Einen kranken Mann.«
    Trojan nickte. »Ist das alles?«
    »Was meinen Sie?«
    »Hat man Ihnen meinen Spitznamen verraten?«
    Einen Augenblick lang überlegte Jupiter, dann erinnerte er sich.
    »Der Albert Speer des …«
    »Heiligen Stuhls, ganz richtig«, fiel Trojan ihm ins Wort. »Speer war Hitlers Architekt, der Mann, der für ihn erst Berlin und dann die Welt neu gestalten sollte. Und wissen Sie, warum man mir hinter vorgehaltener Hand diesen Namen gegeben hat?«
    Jupiter schüttelte den Kopf.
    »Weil ich es einmal … nur ein einziges Mal, vor ziemlich genau vierzehn Jahren … gewagt habe, ein paar einschneidende Veränderungen in der Struktur dieses verdammten Friedhofs dort draußen vorzuschlagen.« Er deutete mit einem verbitterten Kopfnicken zum Fenster.
    »Mit Friedhof meinen Sie …«
    »Den Vatikan, natürlich. Die Kurie hat mir diesen Vorschlag nie verziehen. Verstehen Sie, Jupiter, man verändert hier nichts! Für die Kardinale wäre das, als würde man versuchen, die ersten Kapitel der Bibel neu zu schreiben. Man erhält, man rekonstruiert, man bessert aus. Aber man schafft nie etwas Neues.«
    »Und das frustriert Sie?«
    Trojan stieß ein scharfes Schnauben aus, so laut, daß Jupiter überrascht zusammenfuhr. »Ich bin gut in dem, was ich tue. Seit Jahren leite ich die Restaurationsarbeiten an unschätzbaren Kunstwerken, ich darf die Arbeiten eines Michelangelo aufpolieren und sie manchmal, wenn gerade niemand hinsieht, sogar ein ganz klein wenig verbessern. Der Heilige Vater dankt es mir, indem er mir all das hier zur Verfügung stellt.« Er löste eine Hand von der Stange und machte eine Geste, die den gesamten Raum einschloß. Erst nach einem Moment begriff Jupiter, daß Trojan nicht das Zimmer, sondern die Zeichnungen an den Wänden meinte.
    Er stand auf … schwankend, unsicher, aber jetzt zu interessiert, um sich wieder in den Sessel fallen zu lassen … und ging mit schleppenden Schritten zu Trojan hinüber. Da standen sie nebeneinander, beide kaum in der Lage, sich aus eigener Kraft auf den Beinen zu halten, der eine geschwächt von Krankheit, der andere von den allergischen Späßen, die sich sein Körper mit ihm erlaubte.
    Aus der Nähe erkannte Jupiter, daß es sich bei den Zeichnungen um Entwürfe gewaltiger Bauten handelte, groß und prachtvoll, mit zahllosen Kuppeln und Türmen und detaillierten Stuckarbeiten, nicht modern, nicht altmodisch, ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten Stilrichtungen, auf eine Weise miteinander verbunden, daß etwas vollkommen Neues, Frisches entstand. Was er vor sich sah, war nichts Geringeres als Trojans Neugestaltung des Vatikans.
    Der Petersdom war umgeben von neuen Gebäuden, höher, und doch nicht aufdringlich in ihrem verhaltenen Prunk, wuchtig, aber dennoch kein

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