Das Haus des Daedalus
einen Knopf, und all die alten Gefühle waren wieder da, Erinnerungen an zwei Jahre, in denen sie unzertrennlich gewesen waren.
Er wollte sie nicht küssen. Wollte es nicht.
Aber natürlich tat er es trotzdem.
Die beiden größten Internet-Cafes der Stadt öffneten erst gegen Mittag, wenn die Jugendlichen aus den Schulen kamen. Die beiden ersten, die Coralina anfuhr, waren geschlossen. Vermutlich machten sich die Besitzer vor zwölf gar nicht erst die Mühe, aus ihren Betten zu klettern.
Erst beim dritten, einem schmalen Ladenlokal in der Via dei Gonfalone, unweit des Flußufers, hatte sie Glück. Das Schaufenster war mit allerlei Postern zugeklebt, und als sie eintrat, erkannte sie, daß die Bezeichnung Cafe etwas übertrieben war. Es gab einen Kaffeeautomaten, aber daran klebte ein Zettel, auf dem stand, daß es verboten sei, Getränke mit an die Terminals zu nehmen. Man konnte einen Kaffee im Stehen trinken oder gar nicht, das blieb einem selbst überlassen.
Aber Coralina war nicht hergekommen, um zu frühstücken.
Der Junge an der Kasse war ein pickeliger Teenager, der in ein paar Jahren vielleicht attraktiv sein würde, vorausgesetzt es gelang ihm, vorher an die frische Luft zu gehen und ein paar Sonnenstrahlen einzufangen. Es kostete Coralina hunderttausend Lire und eine Menge Nerven, ehe er ihr schließlich gestattete, die mitgebrachte CD-Rom in eines der Terminals einzulegen. Zuvor aber bestand er auf einem langwierigen Virencheck. Dies sei nicht sein Laden, erklärte er ihr, und ihre Hunderttausend seien nicht genug, um sich Ärger mit seinem Chef einzuhandeln. Sie verstand und ließ ihm seinen Willen. Endlich, nach fast zwanzig Minuten, nickte er zufrieden, meinte, die Disk sei in Ordnung, und führte sie in ein Hinterzimmer, in dem der Bürocomputer stand.
Coralina öffnete den Hauptordner der Disk. Fabio hatte ihn nach einem seiner Lieblingspornos benannt, die einzelnen Fotodateien trugen die Namen der Darstellerinnen. Er hatte während des digitalen Filterungsprozesses verschiedene Zwischenstufen abgespeichert, denn die ersten Dateien wichen kaum von dem Originalfoto ab. Auf allen war die abgedunkelte Scheibe der Limousine zu erkennen, der Blitz der Kamera und ein Stück von etwas, das vermutlich Jupiters Gesicht war.
Coralina übersprang drei weitere Dateien und wollte die letzte anklicken, als plötzlich wieder der Junge neben ihr auftauchte.
»Alles klar?« fragte er.
»Ja, sicher.«
»Ich hab Ihnen ‘nen Espresso mitgebracht.«
Er stellte einen Plastikbecher neben dem Keyboard ab, drehte sich wortlos um und verschwand wieder. Erst nach ein paar Sekunden realisierte Coralina, daß dies vermutlich ein schüchterner Annäherungsversuch gewesen war. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte sie das wahrscheinlich niedlich gefunden.
Jetzt aber nippte sie nicht einmal an dem Becher, starrte nur angespannt auf den Bildschirm und führte den Mauszeiger auf die achte und letzte Fotodatei. Fabio hatte ihr den Namen Sabrina Stella gegeben. Charmant.
Der Monitor wurde schwarz, dann begann sich vom oberen Rand her das Foto aufzubauen, in schmalen Streifen, die sich quälend langsam zu einem kompletten Bild zusammensetzten.
Coralina tastete nach dem Becher und nahm nun doch einen Schluck. Sie hatte Automatenespresso schon immer gern gemocht, das brachten vermutlich die Jahre an der Uni mit sich.
Das Foto war ein Querformat. Knapp die Hälfte des Bildes war jetzt zu sehen. Der obere Teil war stark abgedunkelt, um die Reflexion des Blitzlichts auszufiltern. Jupiters Gesicht war verschwunden … oder, nein, jetzt war zu erkennen, daß es sich bei dem Umriß überhaupt nie um ihn gehandelt hatte. Coralina hatte die ganze Zeit recht gehabt.
Zwei Drittel waren fertig.
Dann das ganze Bild.
Doch da wußte sie längst, wer hinter der Scheibe saß, hinten auf dem Rücksitz der Limousine. Die Augen blickten voll kalter Wut ins Objektiv der Kamera. Coralina fröstelte.
Sie sprang auf, warf dabei fast den Becher um und rannte so schnell sie konnte aus dem Laden, ließ die Disk zurück und den Jungen, der ihr aufgeschreckt nachschaute und etwas rief.
Aber nicht nur er schaute ihr nach, als sie zum Wagen stürmte. Vom Hinterzimmer aus starrte ihr ein anderes Gesicht hinterher, zornig, aufgelöst in Pixel.
Miwa löste ihre Lippen von seinen und flüsterte: »Wir können hier nicht bleiben. Wahrscheinlich suchen sie dich schon überall.«
»Hast du außer einem Schlüssel vielleicht noch einen Wagen und zwei
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