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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wort des Danks oder der Zuneigung, aber es wollte ihm nichts Passendes einfallen. Coralina mußte Miwas Leiche gesehen haben, und gewiß würde sie danach fragen. Aber er konnte darüber jetzt noch nicht sprechen, deshalb kam er ihr zuvor: »Wie bist du da reingekommen?«
    Ein schmerzliches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, nur ein Hauch ihrer früheren Unbeschwertheit. Sie erzählte ihm, daß sie Cassinellis Gesicht auf dem Foto entdeckt hatte. Sie berichtete von der Bücherlieferung an Kardinal Merenda und wie es ihr gelungen war, mit dem Dokument des Kardinals die Wachen zu täuschen. Anschließend war sie geradewegs in die Gärten gefahren, die Gefahr ignorierend, daß der erste Gardist, der sie bemerkte, sofort Alarm schlagen würde. Am Kloster Mater Ecclesiae hatte ihr niemand geöffnet, woraufhin sie ziellos umhergefahren war, bis sie Cassinelli in einem Elektrowagen bemerkt hatte und ihm gefolgt war. Erst hatte sie gezögert, ihm in den Turm nachzugehen, doch als sie die Schüsse hörte, war sie hinaufgerannt.
    Jupiter nahm ihre Hände in seine und drückte sie.
    »Du hast kalte Finger«, sagte sie. »Komm, ich mach den Motor an, damit die Heizung läuft.«
    »Nein«, sagte er leise und sah ihr in die Augen. Er wollte sie nicht loslassen, wollte sie spüren, die Wärme ihrer Haut.
    Ihre Nähe gab ihm die Kraft, über die Ereignisse im Turm zu sprechen. Sie ließ ihm Zeit und unterbrach ihn nicht durch Zwischenfragen. Als er geendet hatte, gezeichnet von einer Erschöpfung, die nicht nur körperlich war, beugte sie sich zu ihm herüber und küßte ihn.
    Sein erster Impuls war, sich zurückzuziehen … zu frisch war die Erinnerung an den Kuß, den Miwa ihm gegeben hatte, berechnend, wie alles, was sie je getan hatte -, aber er spürte auch, daß er das nicht wirklich wollte. Er zögerte noch einen Moment, dann schob er einen Arm unter der Decke hervor, legte ihn um Coralina und erwiderte ihren Kuß mit verzweifelter Intensität.
    Als sie sich schließlich mit einem scheuen Lächeln von ihm löste und den Wagen startete, gelang es ihm nicht, seinen Blick von ihr zu nehmen.
    Sie bemerkte es und rutschte unsicher auf dem Sitz hin und her.
    »War das der falsche Zeitpunkt?«
    »Nein, Der beste.«
    Wieder lächelte sie, diesmal glücklich, dann wendete sie den Wagen, fuhr über den Schotterweg zurück zur Straße und bog ab in Richtung Osten. Zum Meer, zum Flughafen Fiumicino.
    Nach einer Weile fragte sie: »Was war das, was Cassinelli gesagt hat, über … Knochen?«
    »Gebeine«, sagte Jupiter. »In irgendeinem Zusammenhang mit der Scherbe … Bei den Gebeinen, glaube ich.«
    »Das ist ein Hinweis auf das Tor, oder?« Sie schaute in den Rückspiegel.
    »Verfolgt uns jemand?« fragte Jupiter alarmiert und blickte über die Schulter.
    »Nein«, sagte sie und atmete tief durch. »Ich glaube nicht. Ich bin nur vorsichtig.« Sie sah flüchtig zu ihm hinüber, wandte sich dann wieder dem Straßenverkehr zu. »Was meinst du … bezog sich das, was Cassinelli gesagt hat, auf den zweiten Eingang?«
    »Ich weiß nicht … Ich war ziemlich … durcheinander.
    Vielleicht hab ich mich verhört.«
    »Ist jetzt auch egal.«
    »Wohin fahren wir?«
    »Zum Flughafen. Wir verschwinden von hier. Sollen sich die Nonnen mit Estacado und Trojan herumschlagen.«
    Jupiter hob einen Deckenzipfel. »Welches Flugzeug nimmt mich so mit?«
    »Es gibt Geschäfte am Flughafen. Du wartest im Auto, und ich kaufe dir neue Klamotten.«
    Innerhalb der wenigen Stunden, die sie getrennt gewesen waren, war mit Coralina eine Wandlung vorgegangen. Sie wirkte entschlossener, fast ein wenig abgebrüht. Erst als sie ihm von Santino erzählte und vom Tod des Chauffeurs, begriff er, was sie durchgemacht hatte.
    Sie erreichten die Autobahn, und wenig später nahm Coralina die Abfahrt zum Flughafen. Er blieb, in die Decke gehüllt, im Wagen sitzen, während sie neue Kleidung für ihn besorgte. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, ehe sie schließlich mit der prallgefüllten Einkaufstüte einer Flughafenboutique neben dem Beifahrerfenster auftauchte. Die Jeans war ihm eine Spur zu groß, das Hemd ein wenig eng an den Schultern, aber die weite Windjacke, die sie gekauft hatte, überdeckte all das. Sogar Schuhe hatte sie mitgebracht, und zu seiner Überraschung paßten sie wie angegossen.
    »Frauen können so was abschätzen«, sagte sie nur.
    Als er angezogen war, zog sie zwei Tickets aus den Taschen ihres dicken Kapuzenshirts und wedelte damit vor seinem

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