Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
können.
    »Was hat Santino dir erzählt?« fragte er unvermittelt.
    Coralina sah ihn verwundert an. »Was meinst du?«
    »Hat er das Haus des Daedalus erwähnt?«
    »Ja. Er hat davon gesprochen, daß …« Sie brach ab, als sie erkannte, worauf er hinauswollte. »Er hat behauptet, er und ein paar andere Mönche hätten die Tür geöffnet. Den zweiten Eingang, den schon Piranesi benutzt hat.«
    »Was hat er noch gesagt? Ich meine, hat er irgendwelche Einzelheiten erzählt?«
    »Er sagte, die Mönche hätten Videoaufnahmen gemacht.« Sie beobachtete sorgfältig seine Reaktion. »Glaubst du, er hat uns die Wahrheit erzählt?«
    Er schob fröstelnd die Hände in die Taschen seiner Windjacke.
    »Die Tatsache, daß wir uns verirrt haben … wahrscheinlich ist es Tausenden genauso gegangen, aber keiner hat darüber nachgedacht. Vielleicht hat es wirklich schon begonnen. Wenn Santino und die anderen Mönche das Tor geöffnet und das Haus des Daedalus betreten haben …« Er brach ab, weil ihm die Worte fehlten für das, was er dachte.
    Coralina starrte ihn einen Moment lang an, dann schüttelte sie den Kopf. »Egal. Wir verschwinden von hier.«
    »Janus hat gesagt, daß der Nebeneingang vermutlich ebenfalls irgendwo im Vatikan sei.« Jupiter überlegte laut. »Was kann Cassinelli gemeint haben, als er von Gebeinen sprach?«
    »Vielleicht wußte er es selbst nicht.«
    »Vielleicht nicht. Aber welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Vatikan und irgendwelchen Gebeinen?«
    Coralina seufzte. »Unter dem Petersdom wurden seit dem letzten Jahrhundert eine ganze Reihe Gräber aus heidnischer Zeit freigelegt. Und dann ist da natürlich noch …«
    »Das Petrusgrab.«
    »Der Höhepunkt aller Vatikan-Führungen.«
    Jupiter nickte nachdenklich. »Könnte es das sein? Glaubst du, daß der zweite Eingang irgendwo dort unten liegt?« »Das Petrusgrab befindet sich genau unter dem Papstaltar. Jeden Tag marschieren Tausende Touristen daran vorbei. Wie hätten sich Santino und die anderen unbemerkt dort aufhalten können?«
    »Der Eingang könnte unter dem Grab liegen, noch eine Ebene tiefer. Oder einfach nur in der Nähe der Petrusgruft, was weiß ich …«
    Mit einer fahrigen Geste wies Jupiter auf eine Reihe von öffentlichen Telefonen. »Aber es gibt einen Weg, das herauszufinden.«
    »Wen willst du anrufen?«
    »Warte ab.«
    Sie wurde ungeduldig. »In knapp einer Stunde geht unser Flug.«
    »Nur ein paar Minuten, okay?«
    Sie war nicht glücklich über seine Beharrlichkeit, nickte aber. Jupiter gab ihr einen flüchtigen Kuß, dann eilte er zu den Telefonen hinüber. Er nahm an, daß Coralina ihm folgen würde. Doch als er zurückschaute, sah er, daß sie sich zu einigen Reisenden gesellte, die sich gelangweilt unter einem Fernsehschirm versammelt hatten und die Zeit bis zu ihrem Abflug mit einem römischen Lokalprogramm totschlugen. An einem Stand gleich daneben kaufte sie einen Schokoriegel.
    Es tat Jupiter leid, daß sie verärgert war. Er würde mit ihr nach Athen fliegen. Aber vorher wollte er noch in Erfahrung bringen, ob er mit seinem Verdacht richtig lag.
    Er mußte fünf Minuten warten, bis eine der Telefonboxen frei wurde. Im Telefonbuch suchte er die Nummer der vatikanischen Touristeninformation. Bald darauf gab man ihm die Antwort, die er sich erhofft hatte.
    Hastig hängt er den Hörer ein und eilte zu Coralina. Sie blickte wie gebannt auf den Fernsehschirm.
    »Hör zu«, begann er, als er nur noch zwei Schritte entfernt war, »es ist genauso, wie ich’s mir gedacht habe. Die Petrusgruft ist seit heute morgen für Besucher geschlossen. Der ganze Altarbereich ist abgesperrt. Wegen archäologischer Grabungen, sagen die von der Information. Ich glaube, daß …«
    Er brach ab, als ihm klar wurde, daß Coralina ihm nicht zuhörte.
    »Coralina?«
    Sie gab keine Antwort. Er sah, daß sie Tränen in den Augen hatte. Sein Blick folgte dem ihren.
    Ein verwackeltes Bild des Tiberufers flimmerte über den Bildschirm, eine jener privaten Videoaufnahmen, mit denen Lokalsender viele ihrer Nachrichtensendungen bestücken. Auf dem betonierten Uferstreifen unterhalb der Mauer hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Ein paar Männer trugen Uniform; einer sperrte gerade die Treppe ab, die hinauf zur Uferstraße führte. Ein silberner Blechsarg wurde geschlossen und von zwei Männern in Richtung der Stufen getragen. Eine digitale Zeitanzeige am unteren Bildrand verriet, daß die Aufnahmen bereits einen halben Tag alt waren; sie

Weitere Kostenlose Bücher