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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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war nichts als Remeos leise Atemzüge zu hören, durchsetzt mit etwas, das Schluchzen sein mochte. Hatte der Mönch dort unten in der Dunkelheit geweint?
    Santino kehrte vor den Bildschirm zurück. Der helle Schemen der Kerze erlosch und erschien gleich darauf wieder; vermutlich war Remeo zwischen Kerze und Kamera hindurchgegangen.
    Aber warum war sein Atmen dann gleichbleibend laut, so als säße er unverändert neben dem Gerät, unmittelbar vor dem Mikrofon?
    War einer der beiden anderen Brüder erwacht und aufgestanden? Aber hätte er dann nicht etwas gesagt?
    Schon wieder!
    Der helle Fleck des Kerzenschimmers verschwand und erschien wieder, als etwas von links nach rechts daran vorüberhuschte. Warum sah Remeo es nicht? Weshalb spürte er es nicht?
    Aber Remeo weinte, und vermutlich hatte er deswegen die Hände vors Gesicht geschlagen.
    »Großer Gott, Remeo!« entfuhr es Santino, obwohl ihm klar war, daß all das längst geschehen war und sein Freund ihn nicht hören konnte.
    Ein drittes Mal huschte etwas an dem Licht vorüber, jetzt wieder von rechts nach links.
    Santino versuchte sich einzureden, daß es nur ein technischer Defekt war, eine Unzulänglichkeit des Objektivs. Vielleicht war auch der Akku fast leer, so daß der Strom kurzzeitig ausfiel.
    Doch warum hörte er dann unverändert Remeos Atmen und leises Schluchzen? Warum wurde der Ton nicht unterbrochen?
    Doch was immer es war, das sich dort unbemerkt über die Treppe bewegt hatte … es gab sich Remeo nicht zu erkennen. Irgendwann verstummte das Weinen des Mönchs und sein Atem wurde ruhiger. Santino vermutete, daß er eingeschlafen war.
    Die Bewegung wiederholte sich nicht. Santino starrte eine halbe Stunde lang wie gebannt auf den Bildschirm, obwohl dort nichts zu sehen war außer der vagen Helligkeit der fernen Kerzenflamme. Einmal murmelte Remeo etwas im Schlaf, das Santino nicht verstand. Dem Tonfall nach ein Gebet, vielleicht. Oder eine Beichte.
    Santino entspannte sich ein wenig. Er hätte vorspulen können, bis wieder ein Bild erschien, aber dann wäre er Gefahr gelaufen, etwas zu verpassen, Geräusche oder Worte, die Remeo einsam und niedergeschlagen ins Mikrofon sprach.
    Vierzig Minuten vergingen. Schließlich eine Stunde.
    Nach weiteren zehn Minuten hörte Santino, wie Remeo sich bewegte und etwas knurrte.
    »Ich bin … eingeschlafen«, flüsterte der Mönch verstört. »Ich hätte … wach bleiben müssen.«
    Erneut schob sich ein dunkler Umriß vor das Licht der Kerze, aber diesmal war Santino wegen der raschelnden Laute sicher, daß es Remeo war, der die Stufen zu den beiden anderen Mönchen hinabstieg.
    »Lorin?« hörte er Remeos Stimme. »Pascale?«
    Der Mönch wiederholte die beiden Name, und diesmal klang er besorgt.
    Schließlich war Lorins Stimme zu hören. »Remeo? Was ist passiert?« Der Mönch klang verschlafen, doch bereits bei seinen nächsten Worten war seine Stimme angespannt und scharf. »Wo steckt Pascale?«
    Das Rascheln wurde wieder lauter, als Remeo die Stufen hinaufeilte, die Kamera packte und den Scheinwerfer einschaltete. Sogleich war die Treppe in helles Licht getaucht.
    Pascales Decke lag zerknüllt auf einer Stufe, daneben sein Rucksack. Der Mönch selbst war verschwunden.
    Remeo und Lorin sahen sich an. Panik sprach aus ihren Mienen, aus ihren Gesten.
    »Pascale?« Lorin stürmte an der Kamera vorbei nach oben, blieb aber, den Geräuschen seiner Schritte nach zu urteilen, schon nach wenigen Stufen stehen. »Pascale!« rief er noch einmal.
    Remeo untersuchte mit hektischen Bewegungen die Schlafstatt des Freundes.
    »Pascale! Wo bist du?« Lorins Stimme verebbte ohne jeden Widerhall in der Finsternis. Bald darauf eilte der Mönch wieder ins Bild und blieb neben Remeo stehen.
    »Du hast Wache gehalten!« fuhr er Remeo wutentbrannt an. »Du mußt doch gesehen haben, was passiert ist.«
    Remeo gab keine Antwort. Selbst auf dem körnigen Videobild konnte Santino ihm seine Schuldgefühle ansehen. »Glaubst du, er ist zurückgegangen?« Remeo erhob sich aus der Hocke und lehnte sich rückwärts gegen das Geländer, so als würden seine Beine ihn nicht länger tragen.
    »Warum hätte er das tun sollen?« Lorin stieg zwei Stufen abwärts, verharrte dann einen Moment und kehrte zu Remeo zurück. »Er hatte nicht mehr Angst als wir beide.« Er fixierte seinen Ordensbruder. »Du hast geschlafen! Herrgott, du bist eingeschlafen!«
    Remeo sah betroffen zu Boden. »Ich … es tut mir leid.«
    Lorin ballte die Fäuste, und

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