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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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am Arm wie einen Kranken.
    Landini und der zweite Mann folgten ihr, während Kardinal von Thaden reglos zuschaute.
    Bevor der behäbige Taxifahrer aussteigen konnte, riß sie selbst eine Hintertür des Wagens auf und schob Cristoforo hinein. Sie rutschte hinterher, zog die Tür zu und drückte den Knopf herunter.
    »Fahren Sie«, wies sie den Fahrer an. »Sofort, bitte.«
    »Wohin wollen Sie?«
    Die beiden Männer hatten das Taxi fast erreicht. Auch sie rannten nicht, wurden aber immer schneller.
    »Fahren Sie einfach los. Richtung Innenstadt.«
    Der Fahrer zuckte die Achseln, schob seine Sonnenbrille zurecht und startete den Motor.
    »Könnten Sie sich bitte beeilen?«
    Landini hob die Hand zu einer Geste, die sie zurückhalten sollte.
    »Schon unterwegs«, sagte der Fahrer und trat aufs Gas.
    Als sie losfuhren sah Coralina durch die Heckscheibe, wie Landini ihr etwas hinterherrief. Dann stand der Kardinal ganz unvermittelt neben ihm … wo kam er so plötzlich her? … und sagte seinem Assistenten etwas ins Ohr.
    Landini nickte nachdenklich und schaute dem Taxi mit Coralina und Cristoforo eisig hinterher.
    Santino stand am Fenster eines weiteren Hotels, eines weiteren Zimmers, und krallte seine bebenden Finger um den hölzernen Rahmen. Er atmete tief ein und aus. Ein Stockwerk unter ihm, auf einem schmalen Platz zwischen Häusern mit geschlossenen Fensterläden, wurden die Buden eines kleinen Wochenmarkts abgebaut. Die meisten waren schon zerlegt und bildeten jetzt Stapel aus Zeltplanen, Seilen und Metallstangen auf den Ladeflächen klappriger Kleinlaster. Nicht einmal die Abgase beim Anlassen der Motoren konnten den typischen Geruch nach Fisch, verfaultem Obst und Chlor überdecken. Männer in schmutzigen Overalls kehrten die Abfälle zu einem Haufen zusammen und fegten in engen Bögen um einen einsamen Blumenstand, der auch über Nacht hier stehenbleiben würde, genau unterhalb des Fensters. Wenn es nötig war, konnte Santino ohne große Gefahr auf das Dach der Bude springen und von dort aus auf den Boden gelangen.
    Noch ein Fluchtweg, dachte er. Noch ein Zugeständnis an die allgegenwärtige Bedrohung und Angst.
    Der letzte Lastwagen setzte sich in Bewegung und verschwand in einer Gasse. Ein weiterer Schwall aus Obstresten, Papierfetzen und stinkenden Fischen landete auf dem Müllhaufen in der Mitte des Platzes. Einer der Arbeiter übergoß den Abfall mit einer Flüssigkeit aus einem Kanister und warf ein brennendes Streichholz hinterher. Mit einer meterhohen Stichflamme geriet der Müllberg in Brand. Qualm stieg auf wie ein geflochtener Zopf aus weißen und schwarzen Rauchfahnen, der sich einige Meter über dem Boden vermischte und als grauer Dunst über dem Platz schwebte.
    Santino ertrug den Gestank nicht länger und schloß das Fenster. Ganz kurz durchfuhr ihn die Sorge, seine Gegner könnten sich im Schutz der Rauschwaden dem Hotel nähern und ungesehen ins Innere gelangen. Aber er verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Er wurde es allmählich müde, jeden Schritt seiner Feinde vorauszuplanen. Sein Körper war überzogen mit Schrammen und blauen Flecken von gewagten Fluchten aus Fenstern, über Dächer und wacklige Feuerleitern. Er hatte überall Schmerzen, seine Muskeln waren angespannt und wurden regelmäßig von Krämpfen heimgesucht. Es war genug, er wollte nicht mehr. Er war erschöpft und ausgelaugt, aber er wußte auch, daß er keine Wahl hatte. Noch hatte er nicht alles gesehen, noch harrten neue Schrecken auf den Videobändern ihrer Entdeckung.
    Rückwärts trat er ans Bett und setzte sich auf die Kante. Die Matratze war durchgelegen und viel zu weich … vor allem für jemanden, der Jahre auf einem harten Lager im Kloster der Kapuziner verbracht hatte -, doch Santino bezweifelte, daß er sie heute nacht überhaupt benutzen würde. Einchecken, bezahlen, davonlaufen … das war mittlerweile seine tägliche Routine, und kaum jemals kam er dazu, in dem Zimmer zu schlafen, das er morgens bezogen hatte. Das bißchen Geld, das er aus dem Büro des Abts gestohlen hatte, würde auf diese Weise wohl noch zwei oder drei Tage reichen, und wer wußte schon, was dann war. Fest stand nur, daß er bis dahin die Videobänder komplett angeschaut haben würde. Er würde endlich Gewißheit haben, und das war es, was zählte.
    Er schaltete den Monitor ein und drückte auf den Startknopf des Abspielgeräts. Sogleich baute sich auf dem Bildschirm wieder das Bild der Wendeltreppe auf, die tiefer und tiefer in die

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