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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gitterzaun mit scharfen Stahlspitzen. Ohne entsprechende Ausrüstung war es unmöglich, sie zu überwinden, von außen wie von innen. Zudem behielten uniformierte Wachleute alle Mauerabschnitte sorgsam im Blick.
    Am Ende der Straße, kurz vor dem Durchgang zu den Kolonnaden des Petersplatzes, lag auf der rechten Seite die langgestreckte Kaserne der Schweizergarde. Unmittelbar davor befand sich ein mächtiges Gittertor, flankiert von Säulen, auf denen steinerne Adler die Straße überschauten. Die Porta Santa Anna stand trotz der späten Uhrzeit noch weit offen.
    Sie wurden von zwei Wachmännern kontrolliert, die Estacado erkannten und passieren ließen, ohne seine Begleiter eines Blickes zu würdigen. Nachdem der Mercedes das Tor passiert hatte, entdeckte Jupiter weitere Männer, hochgewachsen und in den Schmuckuniformen der Svizzeri. In starkem Kontrast zu ihrer Phantasiekleidung standen die Maschinenpistolen, die an Riemen über ihren Schultern hingen.
    »Wußten Sie eigentlich«, fragte Estacado, während er den Wagen im Schrittempo über die gepflasterten Straßen des Kirchenstaates rollen ließ, »daß sich genau hier, wo man später den Vatikan errichtet hat, eine riesige Nekropole der Etrusker befand? Rom wurde um 750 vor Christus gegründet, aber damals lagen die Häuser der Stadt ausschließlich am rechten Ufer des Tiber. Hier aber, auf der linken Seite, war nichts als Ödland. Als die Latiner versuchten, hier Wein anzupflanzen, ernteten sie Sauerampfer. Tacitus hat das hübsch in Worte gefaßt: Wenn du den vatikanischen Wein trinkst, trinkst du Gift.«
    Estacado lächelte. »Auch heute noch manches Mal sehr zutreffend.«
    »Sie scheinen sich hier ganz wie zu Hause zu fühlen«, bemerkte Coralina.
    Estacado begegnete ihrem Zynismus mit einem schalkhaften Blick in den Rückspiegel. »Nachdem die Etrusker 650 vor Christus Rom erobert hatten, begruben sie auf diesem Areal ihre Toten. Interessant ist, daß ein paar hundert Jahre später ausgerechnet hier der Leichnam des Petrus bestattet wurde. Als man im vierten Jahrhundert über seinem Grab die erste Basilika errichtete, ahnte man wahrscheinlich nicht, daß dieses Gebiet schon zur Zeit der Heiden und der Vielgötterei heiliger Boden gewesen war.«
    Jupiter hörte kaum zu. Unruhig schaute er durch die regennassen Scheiben nach draußen. Wie die meisten Romreisenden hatte er vor Jahren den Petersdom besichtigt und an einer Rundfahrt durch die Vatikanischen Gärten teilgenommen. Die Bereiche aber, durch die sie jetzt fuhren, waren ihm fremd; sie waren für die Öffentlichkeit geschlossen. Dennoch erkannte er hier und da ein Gebäude, das er auf Fotos oder im Fernsehen gesehen hatte. Sie passierten den wuchtigen Rundbau der Vatikanbank und, gleich dahinter, den ockerfarbenen Papstpalast, in dessen oberen Etagen sich die Privatgemächer des Heiligen Vaters befinden.
    »Alles, was man über die Etrusker weiß, weiß man aus ihren Gräbern«, fuhr Estacado fort, offenbar in Oberlehrerlaune. »In den Gräbern haben sie uns Spuren ihrer Zivilisation hinterlassen, ihres Lebens, ihrer Magie.
    Sie waren ein geheimnisvolles Volk, mit einem großen Wissen über die Welt, in der sie lebten.«
    Estacado fuhr bis zu einem Torbogen am Fuß eines hohen Gebäudeblocks, wendete und parkte den Wagen so, daß seine rechte Seite unweit einiger Bäume und Büsche zum Stehen kam. »Steigen Sie bitte aus und begeben Sie sich rasch in den Schatten der Bäume. Ich will nicht, daß irgendwer Sie zufällig erkennt.«
    Jupiter schaute über die Schulter zu Coralina. Sie nickte ihm zu: Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das schon.
    Sie stiegen aus und drückten sich unter die tiefhängenden Äste. Besorgt sahen sie, daß Estacado einen Moment länger im Wagen sitzen blieb, nach einem Handy griff und eine der Speichertasten drückte. Er sprach ein paar Worte, nickte dann zufrieden und stieg aus.
    »Mit wem haben Sie gesprochen?« wollte Jupiter wissen.
    »Mit einem Vertrauten«, erwiderte Estacado. Jupiter hatte allmählich das Gefühl, daß der Spanier Geschmack an seiner Geheimnistuerei gefunden hatte. »Es ist alles für Sie vorbereitet.«
    Er führte sie durch ein schweres Holztor in einen Korridor mit Gewölbedecke. Jupiter trug die Kupferplatte, Coralina hielt sich nahe neben ihm. Sie sprachen nicht miteinander, wechselten nur ab und zu einen kurzen Blick, um sich gegenseitig Mut zu machen.
    Sie bogen um mehrere Ecken, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Die Flure

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