Das Haus des Daedalus
lagen in diffusem Halbdunkel, nur in weiten Abständen brannten Notleuchten. Estacado erklärte ihnen, daß er darauf verzichtet habe, das Hauptlicht einzuschalten, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
In vereinzelten Nischen standen Heiligenstatuen und beobachteten sie aus pupillenlosen Augen. Coralina drängte sich unbewußt an Jupiter; als sie es bemerkte, ging sie wieder auf Abstand.
Jenseits der Fenster lag ein Innenhof mit einer kleinen Rasenfläche. »Der Papageienhof«, erklärte Estacado.
»Ich kenne dieses Gebäude«, flüsterte Coralina Jupiter zu. »Ich hab mal ein paar Bücher für Kardinal Merenda hier abgeliefert. Wie’s aussieht, befinden wir uns mitten in der Vaticana.«
»Die Vatikanische Bibliothek«, bestätigte Estacado, der ihre Worte gehört hatte. »Sozusagen das Reich meines Bruders. Sie sind gleich in Sicherheit.«
Er führte sie eine breite Treppe hinunter, die in einem Korridor mit grauem Linoleumboden endete. »Eines von mehreren Kellergeschossen der Bibliothek«, erklärte Estacado. »Es ist ratsam, hier unten nicht allein herumzulaufen … Sie könnten sich verirren.«
Sie bogen um weitere Ecken, stiegen eine zweite Treppe hinunter und erreichten schließlich einen Raum, dessen Tür weit offen stand. Gedämpfter Lichtschein fiel durch den Rahmen und warf ein gelbes Rechteck auf den Boden des Ganges.
»So«, sagte Estacado, »wir sind da. Hier können Sie die Nacht über bleiben. Und die nächsten, falls Sie es wünschen.«
Jupiter blieb im Eingang stehen. »Ich nehme an, die Platte wollen Sie mitnehmen.«
»Ich denke nicht, daß das nötig ist« Estacado lächelte milde.
»Vielleicht würde es Ihnen Spaß machen, das wertvolle Stück morgen früh gemeinsam mit mir zu untersuchen?
Vielleicht kann ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein paar interessante Details lenken, die Sie selbst noch nicht bemerkt haben.«
»Sie meinen den Schlüssel?« fragte Coralina geradeheraus. Jupiter dachte an die Kopie, die sie in Auftrag gegeben hatte, und fragte sich, ob Estacado davon wußte.
Für einen Moment richtete sich der Blick des Spaniers in diffuse Ferne. »Der Schlüssel, ja«, sagte er gedankenverloren. »Er wird ein Thema sein, zweifellos.«
Jupiter und Coralina betraten das Zimmer. Es war ein großer Raum, viel zu groß für zwei Personen. Jemand hatte ihnen auf zwei Klappbetten ein Nachtlager bereitet. Um das Ganze nicht allzusehr nach einer Zelle aussehen zu lassen, stand auf einem Tisch ein prachtvoller Blumenstrauß. Für Jupiter sah er aus, als hätte man ihn geradewegs von irgendeiner Beerdigung hierher gebracht. Coralina beugte sich vor und roch an einer Blüte.
»Frisch«, kommentierte sie unbeeindruckt.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte Estacado. »Hinter dem Vorhang dort drüben finden Sie ein Waschbecken, eine Toilette und eine Dusche. Früher hat man hier Gelehrte aus abgelegeneren Gegenden der christlichen Welt untergebracht, Männer aus Afrika und Asien, die in der Vaticana studierten. Mittlerweile schlafen natürlich auch sie in den offiziellen Gästehäusern.«
»Werden Sie uns hier einschließen?« fragte Coralina, und Jupiter fügte lakonisch hinzu: »Zu unserer eigenen Sicherheit, natürlich.«
»Warum sollte ich das tun?« Estacado wirkte erstaunt. Mit einem Kopfschütteln trat er hinaus auf den Flur und deutete im Vorbeigehen auf den Schlüssel, der an der Innenseite der Tür steckte. »Das da ist Ihrer.«
Er wünschte ihnen eine gute Nacht, dann ließ er sie allein. Noch eine ganze Weile lang horchten sie auf seine leiser werdenden Schritte in den hallenden, menschenleeren Korridoren, dann herrschte Stille.
Jupiter suchte nach einem Platz für die Kupferplatte und legte sie schließlich einfach auf den Tisch. Beinahe hätte er dabei die Blumenvase umgestoßen, doch Coralina fing sie mit einer raschen Handbewegung auf. Erstaunt registrierte er, wie schnell ihre Reflexe waren.
»Und nun?« Sie ließ sich auf einen der schmucklosen Holzstühle fallen. »Jetzt sind wir genau da, wo wir nie hinwollten.«
Jupiter nickte nachdenklich, dann ging er zur Tür und sperrte sie behutsam ab, um in den unterirdischen Fluren kein Echo zu erzeugen.
Coralina kramte ihr Handy hervor und wollte die Nummer der Shuvani tippen, doch ein Blick auf das Display ernüchterte sie.
»Kein Netz«, sagte sie leise und warf das Gerät enttäuscht auf eines der Betten.
Jupiter ließ sich mit einem Seufzer auf das zweite Bett fallen. »Du hast doch nicht wirklich etwas
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