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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wieder winzige Lichtpunkte auf … Taschenlampen. Janus hatte also recht gehabt. Estacados Männer durchsuchten ihr Zimmer.
    »Schnell, beeilen Sie sich!« Janus führte sie durch das Schott auf den Gang, bog aber schon nach wenigen Metern rechts ein und lief mit ihnen einen weiteren Korridor hinunter. Sie waren etwa zwanzig Schritt weit gekommen, als die Notbeleuchtung wieder aufflammte und sie in fahles Halblicht tauchte. Estacados Leute mußten die Sicherungen wieder eingeschaltet haben, um sich die Suche nach Jupiter und Coralina zu erleichtern.
    Zum ersten Mal konnten die beiden einen Blick auf ihren Führer werfen. Janus’ harter Tonfall täuschte. Er war kleiner als Coralina, hatte breite Schultern und war leicht übergewichtig. Sein Haar war schlohweiß und zerzaust; er schien seit Monaten keinen Friseur mehr gesehen haben. Eine schlecht verheilte Narbe zog sich über seine linke Wange, führte am Hals hinunter und verschwand in seinem schwarzen Rollkragenpullover. Jupiter schätzte ihn auf Anfang Fünfzig, was die hohen Sportschuhe, die er trug, seltsam unpassend erscheinen ließ. Zu allem Überfluß hatte er einen häßlichen Herpes im Mundwinkel.
    »Hier entlang«, flüsterte Janus und deutete auf eine angelehnte Tür. Dahinter befand sich eine Art Abstellkammer, vollgestopft mit ausgemusterten Rollschränken und Karteikästen. Ein schmaler Weg führte zur gegenüberliegenden Wand.
    »Vorsicht, fallen Sie nicht runter«, sagte Janus und blieb stehen. Jupiter und Coralina sahen die quadratische Öffnung im Boden erst einen Augenblick später.
    »Wohin führt die?« wollte Jupiter wissen.
    »Wohin glauben Sie denn, daß sie führt?« gab Janus übellaunig zurück. »Natürlich eine Etage tiefer! In einen alten Versorgungsgang.«
    »Wie viele unterirdische Stockwerke gibt es hier?«
    Janus lächelte mysteriös; dabei entstand ein bizarrer Haken im Verlauf seiner Narbe. Er gab keine Antwort.
    »Springen Sie«, sagte er zu Jupiter und wies auf die dunkle Öffnung im Boden. »Und dann Sie«, forderte er Coralina auf.
    Jupiter schnaubte. »Sie erwarten allen Ernstes, daß wir in irgendein Loch springen, dessen Boden wir nicht mal sehen können?«
    »Ich würde Sie hineinstoßen, wenn ich einen Kopf größer wäre«, gab Janus giftig zurück. »Na ja, vielleicht zwei.«
    Jupiter sah, daß Janus’ Art Eindruck auf Coralina machte. Sie schien ihn auf Anhieb zu mögen, im Gegensatz zu dem aalglatten Estacado. Sie löste sich von den beiden Männern, trat an den Rand der Öffnung und sagte über die Schulter zu Jupiter: »Viel zu verlieren haben wir ohnehin nicht mehr, oder?«
    »Wie wär’s mit unserem Leben?« merkte er an, aber da war sie schon fort. Instinktiv schossen seine Hände vor, doch sie griffen ins Leere. Zugleich hörte er, wie Coralina unten aufkam.
    »Alles in Ordnung«, flüsterte sie herauf.
    Janus schenkte Jupiter ein schiefes Grinsen, dann bedeutete er ihm mit einem Kopfnicken, Coralina zu folgen. »Nun machen Sie schon!«
    Jupiter seufzte und sprang in die Tiefe.
    Der Fall war kürzer, als er vermutet hatte. Coralina packte ihn am Arm, obwohl das nicht nötig war; er wußte die Geste trotzdem zu schätzen. Gemeinsam traten sie beiseite und machten Platz für Janus, der einen Augenblick später folgte.
    »Ich kann von hier unten den Deckel nicht auf die Öffnung ziehen«, sagte er, als er neben ihnen aufkam. »Das heißt, daß sie früher oder später entdecken werden, welchen Weg wir genommen haben. Wir sollten uns also beeilen.«
    Es gab auch hier unten Notlampen … allerdings in so großen Abständen, daß ihr Auftauchen eher irritierte, als daß es ihnen weiterhalf. Doch Janus schien jeden Meter dieses Kellergeschosses genau zu kennen, denn wieder führte er sie mühelos durch die Dunkelheit. Einmal ließ er sie durch ein offenes Eisengitter klettern, das in Brusthöhe in der Wand befestigt war; ein anderes Mal kletterten sie eine rostige Leiter hinunter, die sie ein weiteres Stockwerk tiefer führte … das vierte seit ihrem Abstieg an der Seite Estacados.
    »Hörst du das?« fragte Coralina in Jupiters Richtung.
    Janus kam ihm zuvor. »Das ist Wasser. Wir nähern uns einem unterirdischen Reservoir. Wenn wir das erreicht haben, dürften wir vorerst in Sicherheit sein.«
    Bald darauf traten sie durch eine Öffnung hinaus auf einen breiten Steinsims. Aus der gegenüberliegenden Wand ergoß sich ein breiter Wasserstrahl in die Tiefe und sammelte sich nach einigen Metern in einem dunklen

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