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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seinem Unterarm, und er nutzte die Gelegenheit, ihre Hand zu ergreifen. So bewegten sie sich schweigend vorwärts, verharrten nur hin und wieder, um auf die Schritte des Dritten zu lauschen, der sich irgendwo in der Dunkelheit befinden mußte. Sie konnten ihn jetzt nicht mehr hören, keine Schritte, kein Rascheln seiner Kleidung.
    Er erwartete sie an der nächsten Kreuzung, schweigend, regungslos. Jupiter bemerkte ihn zuerst, spürte seine Anwesenheit, ohne ihn wirklich zu sehen. Er blieb abrupt stehen, hielt Coralina zurück und fragte laut in die Schwärze: »Wer sind Sie?«
    Coralina drückte seine Finger fest zusammen. »Jupiter, was soll …«
    »Mein Name ist Janus«, sagte eine männliche Stimme, keine zwei Meter vor ihnen.
    »Janus? Ist das ein Nachname?«
    »Einfach nur Janus«, sagte der Mann. »Folgen Sie mir!«
    »Folgen?« Jupiter stieß ein bitteres Lachen aus. »Vielleicht erklären Sie uns erst, was Sie von uns wollen.«
    »Ihr Leben retten.« Der Tonfall des Mannes war barsch, ein krasser Gegensatz zu Estacados kultiviertem Säuseln.
    »Vielleicht täusche ich mich«, sagte Coralina kühl, »aber die Formulierung »Leben retten« erfährt seit gestern abend einen inflationären Gebrauch.«
    »Sie sind witzig«, entgegnete der Mann ohne jede Spur von Heiterkeit. »Fragt sich, wie lange noch. Das Hauptlicht habe ich ausgeschaltet, damit man vom Gang aus nicht sieht, daß Sie hier sind … aber die Sicherung für die Notbeleuchtung, das war ich nicht. Das waren die. Und das bedeutet, daß sie bald hier sein werden.«
    »Die Adepten der Schale?«
    »Estacados Halsabschneider, ganz gleich, welchen Namen sie sich geben.«
    Mehr als seine allgemeine Unruhe und die Sorge um Coralina irritierte Jupiter die Tatsache, daß sie ihr Gegenüber nicht sehen konnten. Einem Fremden zu trauen, war eine Sache … einem Unsichtbaren, eine ganz andere.
    »Kommen Sie«, sagte Janus und machte im Dunkeln einen Schritt auf sie zu. »Wir haben keine Zeit mehr.«
    »Nennen Sie uns einen einzigen Grund, Ihnen zu glauben.«
    »Estacado hat Sie belogen. Es war ein Fehler, ihm zu vertrauen.«
    »Warum sollten wir denselben Fehler noch einmal machen?« fragte Coralina trotzig.
    »Wenn Sie noch länger hier bleiben, wird das erste Mal in der Tat das einzige Mal bleiben. Man wird Ihnen keine Gelegenheit geben, überhaupt noch irgendeine Entscheidung zu treffen.«
    »Das ist doch Unsinn«, hielt Jupiter dagegen. »Estacado hätte uns schon längst umbringen können.«
    »Estacado ist nicht Landini«, erwiderte Janus, und es war die Erwähnung dieses Namens, die Jupiter stutzig machte. »Landini handelt unüberlegt. Er war es, der den Maler umbringen ließ, noch bevor Estacado sich einschalten konnte. Estacado verabscheut rohe Gewalt. Er tötet, aber er tut es mit Stil … und er würde niemals zulassen, daß ein Mord seine Pläne gefährdet. Deshalb hat er Sie hergebracht … um Sie in Sicherheit zu wiegen, um Sie aus der Öffentlichkeit zu schaffen und um sich alle Zeit mit Ihnen zu nehmen, die er für nötig hält.« Janus zögerte, dann fügte er hinzu: »Allerdings gibt es ein Problem. Gerade in diesem Augenblick durchsuchen seine Leute Ihr Zimmer. Aber sie werden die Platte nicht finden.«
    »Sie ist …«, begann Jupiter, wurde aber unterbrochen: »Nicht mehr dort, wo Sie sie versteckt haben«, sagte Janus. »Ich habe sie fortgeschafft, vorerst in ein Versteck in der Nähe.«
    »Sie haben die Kupferplatte?« entfuhr es Coralina.
    »Glauben Sie mir, wenn Sie erst die Zusammenhänge begreifen, werden Sie zu schätzen wissen, was ich getan habe … Und nun kommen Sie endlich mit!«
    Jupiter drückte im Dunkeln Coralinas Hand und wünschte sich, ihr Gesicht zu sehen. Er hätte die Verantwortung für die Entscheidung gerne mit ihr geteilt. Als Coralina aber weiterhin schwieg, fragte er: »Wohin bringen Sie uns?«
    »Erst einmal fort von hier, in ein Versteck, wo die Adepten nicht nach Ihnen suchen werden.«
    Coralina atmetet tief durch. »Okay«, sagte sie tonlos, »gehen wir.«
    Jupiter spürte, daß sie zusammenzuckte.
    »Erschrecken Sie nicht«, bat Janus. »Ich nehme Ihre Hand und führe Sie hier raus.«
    »Einverstanden«, erwiderte sie.
    Der sonderbare Fremde kannte sich offenbar gut genug aus, um den Weg auch im Dunkeln zu finden. Zwar eckten sie mehrfach an, aber schließlich erreichten sie den Mittelgang. Das Schott stand noch immer offen. Die Notleuchten auf dem Korridor waren erloschen, aber in weiter Ferne zuckten immer

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