Das Haus des Daedalus
drohen?« Janus schien amüsiert, aber Jupiter glaubte in seinem Blick eine Spur von Beunruhigung zu entdecken.
»Ich kann die Scherbe jederzeit zerbrechen, schneller, als Sie oder irgendwer sonst sie mir abnehmen könnte.«
»Sie werden alles erfahren«, erwiderte Janus, »aber nicht jetzt, und gewiß nicht, weil Sie es fordern. Ich denke, Sie schätzen Ihre Lage immer noch falsch ein.«
Jupiter hielt seinem Blick stand. »Für mich ist unsere Lage klar. Uns sind ein paar Leute auf den Fersen, die uns ohne mit der Wimper zu zucken töten werden. Sagen Sie mir, was wir zu verlieren hätten, wenn wir die Scherbe vorher zerstören!«
»Solange wir das besitzen, was den Adepten das Wichtigste überhaupt ist, haben wir zumindest eine Chance.« Janus’ Stimme klang eindringlich wie die eines Predigers. Jupiter hatte sich bisher noch keine Gedanken gemacht, ob Janus ein Geistlicher war, doch jetzt hielt er es fast für möglich … trotz seines abgerissenen Äußeren.
»Mit der Scherbe und der Platte könnte es uns gelingen, ihren Bund ein für allemal zu zerschlagen«, fuhr Janus fort. »Wir könnten sie aus dem Vatikan vertreiben. Verstehen Sie? Diese beiden Gegenstände sind das einzige Druckmittel, das wir gegen Estacado und seine Leute in der Hand haben. Wenn Sie die Scherbe zerstören, haben wir verloren. Dann waren all die Jahre unseres Widerstands sinnlos.«
Jupiter warf einen Blick auf Coralina. Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Er sah ihr an, daß sie sich vor allem große Sorgen um die Shuvani machte. Früher oder später würde sie von Janus verlangen, einen Kontakt zu ihrer Großmutter herzustellen.
»Wie viele Verbündete haben Sie?« wandte er sich wieder an Janus.
»Wenige. Es hat alles ganz harmlos begonnen, vor ein paar Jahren. Wissen Sie, ich war über zwei Jahrzehnte als Priester in Afrika und Mikronesien, ehe man mich zurückrief und mich bat, an der päpstlichen Akademie zu unterrichten. Das ging keine drei Monate gut, dann hatte ich zwei Drittel meiner Brüder gegen mich aufgebracht. Man stellte mich vor die Wahl: eine Pfarrei irgendwo im Hinterland oder ein Posten auf dem Abstellgleis in der Verwaltung des Vatikans, allerdings mit der Aussicht, früher oder später wieder ins Ausland gehen zu können. Ich entschied mich für letzteres. Man gab mir eine Stelle bei Radio Vatikan. Meine segensreiche Aufgabe war es, die Pressemitteilungen des Staats sekretariats zu verlesen. Es hieß, ich sei nun Journalist im Auftrag der Kirche«, er schnaubte abfällig, »freilich ohne jeden journalistischen Freiraum. Den gab ich mir schließlich selbst, und auf allerlei Umwegen stieß ich auf die Adepten der Schale. Ich begann, Material über ihre Mitglieder zu sammeln, über die Estacado-Brüder, Professor Trojan, Kardinal von Thaden, seinen Sekretär Landini und die anderen. Ich spielte ein paar Unterlagen einem ausländischen Journalisten zu, einem amerikanischen Vatikankorrespondenten, der anbot, ein Buch darüber zu schreiben. Er machte den Fehler, eigene Recherchen anzustellen. Von Thaden war der erste, der auf ihn aufmerksam wurde, und er gab Landini den Auftrag, das Problem aus der Welt zu schaffen. Der Amerikaner verschwand von der Bildfläche. Kurze Zeit später fand man seinen Leichnam.«
»Lassen Sie mich raten«, bemerkte Coralina. »Er trieb im Tiber.«
Janus lächelte. »Landini ist bei aller Verschlagenheit ein tumber Handlanger ohne jede Phantasie. Vielleicht macht ihn gerade das gefährlich. Immerhin ging er so geschickt vor, daß alle Indizien auf einen Raubmord hinwiesen. Niemand entdeckte die Verbindung zum Vatikan.«
»Wußten von Thaden und die anderen, daß Sie den Amerikaner auf ihre Spur gebracht hatten?« fragte Jupiter.
»Nicht sofort. Eine Weile ließ man mich in Ruhe, und ich konnte weiterhin meine Nachforschungen betreiben. Ich dachte, irgendwann kommt ein anderer, jemand, der geschickter ist und mir glaubt, ohne auf eigene Faust zu recherchieren. Aber natürlich kam keiner, und ich wurde ungeduldig … und unvorsichtig. Durch eine dumme Nachlässigkeit erregte ich die Aufmerksamkeit Estacados. Statt mich jedoch einfach zu beseitigen, wie von Thaden und Landini es wohl getan hätten, versuchte er, mit mir ins Geschäft zu kommen. Er bot mir an, mich in alle Geheimnisse der Adepten einzuweihen, vorausgesetzt, ich würde ihm meine Unterlagen aushändigen. Er versprach, mir dafür einen Posten in Asien zu besorgen. Er sah darin wohl so eine Art Abschiebehaft, für mich
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