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Das Haus des roten Schlächters

Das Haus des roten Schlächters

Titel: Das Haus des roten Schlächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Klauenspuren
eines riesigen Vogels. Cranston legte die Hand in eine der
Kerben.
    »Ja«,
murmelte er. »Hier ist jemand gewesen. Schau, das Eis ist
gebrochen.«
    Atheisten besichtigte
die vereisten Höhlungen und nickte.
    »Ein schwieriger
Aufstieg«, bemerkte er. »Höchst gefährlich in
finsterer Nacht.« Sein Blick wanderte über den
hartgefrorenen Schnee; er bückte sich, hob etwas auf und
verbarg es in der hohlen Hand, bis Colebrooke sich zum Gehen
wandte.
    »Was ist
das?« fragte Cranston undeutlich. »Was hast du da
gefunden?«
    Der Ordensbruder
öffnete die Faust, und Cranston lächelte, als er die
versilberte Stiefelschnalle sah.
    »Aha«,
murmelte er. »Also war jemand hier. Jetzt brauchen wir nur
noch den Träger dieser Schnalle und dann: Hei-ho, ab zum
Oberhofgericht, einen kurzen Prozeß und eine etwas
längere Hinrichtung.«
    Athelstan
schüttelte den Kopf. »Ach, Sir John«, sagte er
leise, »wenn die Dinge doch so einfach wären
…«
    Sie gingen zurück
in den Innenhof. Der Tower war inzwischen zum Leben erwacht, obwohl
der Frost nicht nachgelassen hatte und nichts auf einen
Wetterumschwung hindeutete. Hufschmiede hatten ihre Feuer
entzündet, und der Hof hallte vom Klang der Hämmer und
dem Rauschen der Blasebälge, an denen zerlumpte Lehijungen
sich abrackerten, um den Schmiedefeuern Lebenshauch einzublasen.
Ein Metzger schnitt ein Schwein auf, und Küchenjungen rannten
umher, schüttelten das Blut von den Fleischstücken und
stopften sie in dickbauchige Fässer mit Pökellake, damit
sie bis zum Frühling hielten. Ein Roßknecht führte
ein lahmendes Pferd im Kreis herum, damit seine Kameraden nach dem
Fehler schauen konnten. Hausdiener und Mägde tauchten Berge
fettverschmierter Zinnteller in Bottiche mit kochendheißem
Wasser. Der Lieutenant betrachtete das Schauspiel und
grinste.   
    »Bald ist
Weihnachten«, erklärte er. »Da muß alles
sauber und vorbereitet sein.«
    Athelstan nickte. Er
sah drei Jungen Stechpalmen und anderes immergrüne Gezweig
über den Schnee zur Treppe des großen Burgturms
schleifen.        
    »Ihr werdet
Weihnachten feiern?« fragte Athelstan und deutete auf einen
hochrädrigen Karren, von dem Soldaten gerade mächtige
Weinfässer abluden.
    »Selbstverständlich«,
antwortete Colebrooke. »Der Tod ist ja kein Fremder im Tower,
und Sir Ralph wird vor dem Heiligen Abend unter der Erde
sein.« Er ging weiter, als sei er ihre Fragerei
leid.
    Athelstan zwinkerte
Cranston zu, blieb stehen und rief: »Master
Colebrooke?«
    Der Lieutenant drehte
sich um und hatte Mühe, seine Gereiztheit zu
verbergen.
    »Ja,
Bruder?«
    »Warum sind so
viele Leute hier? Ich meine - die Hospitaliter, Master Geoffrey,
Sir Fulke?«
    Colebrooke zuckte die
Achseln. »Der Bruder des Konstablers wohnt
hier.«
    »Und der junge
Geoffrey?«
    Colebrooke verzog
spöttisch das Gesicht. »Ich glaube, der ist auf Mistress
Philippa ebenso scharf wie sie auf ihn. Sir Ralph hat ihn zu
Weihnachten in den Tower eingeladen, und warum auch nicht? Der
Frost hat allen Geschäften in der Stadt ein Ende gemacht, und
Sir Ralph bestand darauf, daß der Verlobte seiner Tochter bei
ihm sei - besonders, seit er so merkwürdig ängstlich
wurde.«
    »Und die beiden
Hospitaliter?« fragte Cranston.
    »Alte
Freunde«, antwortete Colebrooke. »Sie kommen jedes Jahr
zu Weihnachten in immer gleichem Ritual. Zwei Wochen vor
Weihnachten reisen sie an, und am Heiligen Abend speisen sie in der
Goldenen Mitra außerhalb des Tower. Sie bleiben stets bis zum
Dreikönigstag, und nach dem Fest der Erscheinung des Herrn
fahren sie wieder. Dreimal haben sie es jetzt schon so gemacht;
weiß der Himmel, warum.« Er wandte sich ab und spuckte
gelben Schleim in den Schnee. »Wie gesagt, Sir Ralph hatte
seine Geheimnisse, und ich war nie neugierig.«
    Cranston fing an zu
zappeln, ein Zeichen dafür, daß er sich allmählich
langweilte und die Kälte satt hatte. Athelstan ließ
zu, daß
Colebrooke sie in den White Tower zurückbrachte, eine
steinerne Wendeltreppe hinauf und durch einen Vorraum in die
St.-John’s-Kapelle.
    Als Athelstan den
Weihrauchduft roch, entspannte er sich augenblicklich. Er betrat
das Kirchenschiff mit seiner hohen Balkendecke und den breiten
Gängen, die jeweils flankiert waren von zwölf runden, mit
breiten grünen und scharlachroten Samtbändern umwickelten
Säulen. Der Boden war blank gebohnert; die seltsamen roten
Steinplatten schienen eigene Wärme abzugeben. Die zarten
Gemälde an den Wänden und die

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