Das Haus im Moor
Kathy an der Straße abgeholt. Früh am Morgen hatte es ein Bus geschafft, durchzukommen, und vor einer halben Stunde hatte Vincent seine Schwester und Peter zum Scheunentanz gebracht und ihnen das Versprechen abgenommen, daß sie so lange dort blieben, bis er käme, um sie abzuholen, gleichgültig, wie dicht der Schnee auch fiele. Sollte es zu schlimm werden, würde er mit dem Auto zwar bis zur Hauptstraße kommen, aber vielleicht nicht wieder zurück, und sie würden den größten Teil des Heimweges zu Fuß gehen müssen.
Diese Aussicht hatte Kathy nicht weiter beeindruckt. Sie wußte, daß Vincent auch in den tief verschneiten Hügeln den Weg nach Hause finden würde. Sie versicherte Peter, daß Vincents Füße genauso sicher waren wie die einer Bergziege.
Vincent hatte tatsächlich Schwierigkeiten, den Landrover wieder zum Haus zurückzufahren, und als er endlich in die Küche kam, lief er geradewegs zum Feuer und rieb sich die Hände. »Ich werde sie heute Abend nicht mit dem Auto abholen können, das ist sicher.«
»Sie hätten gar nicht erst gehen sollen«, sagte Hannah, die neben dem Herd saß.
»Ach«, entgegnete Sean, der gerade seine Pfeife ausklopfte, »sie sollen ihren Spaß haben, solange sie noch jung sind. Und was ist schon ein bißchen Schnee? Bis jetzt sind’s noch keine dreißig Zentimeter, und weder hier noch dort unten gibt es Schneeverwehungen. Wenn Tauwetter einsetzt und es anschließend friert, dann kann man anfangen, sich Sorgen zu machen, nicht wahr, Vin?«
»Ja«, stimmte Vincent zu, »aber es kommt jetzt ganz schön was runter.«
»Ach, es sind doch noch andere junge Leute dort unten, und wenn sie nicht zurück können, werden sie eben die Nacht durchtanzen. Das wäre nicht das erste Mal … Erinnerst du dich noch an das Jahr, als wir auf Freemans Fest waren, Florence?«
Florence, die energisch an einer Socke strickte, nickte, aber sie sah ihren Mann nicht an. Sie erinnerte sich an das Fest: Es war das erste Mal gewesen, daß sie sich in der Öffentlichkeit mit ihrem Ehemann sehen ließ, und es hatte eine Menge Gerede gegeben.
»Wer ist oben?«
Florence drehte sich zu Vincent um und antwortete: »Moira und Davie. Sie wollten alle hinauf, aber ich hab’s nicht erlaubt. Die anderen sind hinten. Das Feuer brennt, und sie bauen die Eisenbahn auf. Ich habe Davie gebeten, oben zu bleiben, bis sie abgeholt werden.«
»Sie sieht krank aus«, bemerkte Sean. »Ich glaube, sie sollte lieber im Bett bleiben. Diese Grippe hat ihr schwer zu schaffen gemacht.«
»Außerdem hat sie irgend etwas vor«, sagte Hannah und nahm sich aus einer Schale eine selbstgemachte Praline. »Die Kinder sagen, sie hat einen ganzen Haufen Porzellan und anderes Zeug mitgebracht, lauter schöne Sachen. Wenn der Schnee nachläßt, werd ich mal hinaufgehen und mir alles ansehen. Davie sagt, daß die Sachen sehr schön sind, und er hat ein Auge für solche Dinge.«
Hannah hatte Recht. Davie hatte ein Auge für Porzellan. Er stand neben dem walisischen Geschirrschrank und zeigte auf drei Dresdner Figuren. »Ich mag die Farben. Ich habe Vin schon gesagt, daß er einige seiner Sachen bema len soll, aber er will nicht.«
Constance entgegnete: »Es wäre eine Schande, Vins Arbeiten zu bemalen. Das ist einfach etwas anderes, eine andere Art von Kunst, Davie. Wenn du solche Figuren magst, solltest du Töpfern lernen. Kannst du zeichnen?«
Bevor der Junge antworten konnte, mischte sich Moira, die mit einer dicken Enzyklopädie auf den Knien neben Constance auf dem Sofa saß, in das Gespräch ein: »Zeichnen kann er jetzt schon sehr gut. Vin sagt, daß er irgendwo auf eine Kunstschule gehen soll.«
»Wo denn?« Davie betrachtete immer noch das Porzellan. »Die sind alle viel zu weit weg. Außerdem will ich sowieso Arzt werden.«
Constance fragte überrascht: »Arzt? Du willst wirklich Arzt werden, Davie?«
»Ja.« Er baute sich vor ihr auf und sah sie an. Er, der Kleinste der O’Connors, war ohne Zweifel der gescheiteste und fuhr in ganz und gar nicht kindlichem Ton fort: »Ja, das will ich, aber ich weiß, daß ich nicht so lange zur Schule gehen kann. Mein Vater sagt zwar, daß es ginge, wenn Vin das Geschäft ans Laufen bekommt, aber Vin hat dazu noch gar nichts gesagt.«
»Und du kannst es nicht glauben, bis Vin es nicht selbst sagt?« fragte Constance leise.
»Eigentlich nicht.« Davie schüttelte den Kopf und sah prüfend auf seine Fingernägel. »Vin weiß ganz genau, daß der Schein oft trügt, und er
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