Das Haus in den Dünen
fahr mit Tina noch einmal raus.«
Trevisan nickte und schaute auf die Uhr. »Und ich muss um vier in die Schule. Paula hat heute Elternsprechtag für das neue Schuljahr.«
»Um vier schon?«, fragte Tina.
»Einzelgespräche. Zwanzig Minuten.«
»Dann wünsche ich dir viel Spaß, wir sehen uns dann morgen«, entgegnete Alex und hob grüßend die Hand.
»Bis morgen«, antwortete Trevisan und setzte sich, nachdem die beiden den Besprechungsraum verlassen hatten. Er hatte noch zwei Stunden Zeit. Er griff sich die Akte und blätterte darin. Draußen strahlte eine warme Sonne an einem leuchtend blauen Himmel.
*
»Sie sind alleine?«, fragte der junge Mann.
Sie erschrak und wandte sich um.
»Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte der junge Mann mit dem verwegenen Gesicht und den blonden, langen Haaren. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Sie war vollkommen perplex. Eigentlich wollte sie den Tag alleine genießen, doch statt den jungen Mann wegzuschicken, nickte sie einfach nur.
Sie saß in einem Café an der Strandpromenade in der Nähe des Fliegerdeichs und schaute über das blaue Wasser in den Horizont. Die Sonnenstrahlen brachen sich in weiter Ferne und hinterließen ihre glitzernden Kaskaden auf der Wasseroberfläche. Es war ein warmer Septembertag und auf den Liegewiesen unterhalb des Deiches genossen hunderte sonnenhungriger Badegäste den Spätsommer.
»Sie sind nicht von hier?«, fragte der Mann.
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Joe«, fuhr er fort. »Eigentlich heiße ich Johannes, aber Joe gefällt mir besser. Ich komme aus dem Ruhrpott. Und Sie?«
Eigentlich hatte sie keine Lust, sich zu unterhalten. Es war schon genug, dass der Kerl trotz mehrerer freier Tische ausgerechnet an ihrem Tisch Platz genommen hatte. Andererseits hatte sie schon lange mit niemandem mehr geredet.
»Ich komme aus dem Süden«, antwortete sie und nippte an ihrem Kaffee.
»Das ist an Ihrer Sprache unschwer zu erkennen«, antwortete Joe mit einem breiten Lächeln. Seine Zähne waren makellos. Überhaupt sah er überaus attraktiv aus. Wahrscheinlich verbrachte er im Ruhrgebiet Stunden in einem Fitnesscenter.
»Ich habe Sie schon eine ganze Weile beobachtet«, gestand Joe ein. »Sie sind mir sofort aufgefallen. Die Art, wie Sie sich bewegen, alleine, wie Sie hier sitzen, sagt mir einiges. Sie sind bestimmt in leitender Funktion tätig.«
Süßholz, dachte sie bei sich. Aber sie musste sich eingestehen, dass ihr Joe gefiel.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte er.
Sie überlegte. »Maria, Maria ist mein Name«, sagte sie dann hastig.
»Also gut, Maria. Freut mich, dich kennen zu lernen. Wollen wir zusammen einen Martini trinken?«
Er mochte wohl gut fünf Jahre jünger sein. Aber warum sollte sie sich nicht auf einen kleinen Flirt einlassen? Sie hatte nichts zu tun. Und alles andere konnte warten.
»Gerne«, antwortete sie ein wenig schüchtern. Er erhob sich und gab der Bedienung ein Zeichen. »Aber nicht hier, ich kenne da ein kleines Café in der Innenstadt. Dort ist es etwas ruhiger. Du hast doch nichts dagegen?«
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie lächelte. »Nein, ich habe nichts dagegen«, sagte sie.
18
Trevisan verbrachte das Wochenende zusammen mit Angela und seiner Tochter Paula. Es gelang ihm tatsächlich, ein wenig abzuschalten und sich auf die beiden zu konzentrieren. Paula hatte sich gut in das neue Schuljahr eingefügt. Sie besuchte die achte Klasse des Cäciliengymnasiums, und jetzt, nach knapp einem Monat, konnte man sehr zufrieden mit ihren Leistungen sein. In den letzten Wochen verbrachte Paula viel Zeit mit ihrer Freundin Anja. Tagelang hingen sie zusammen herum. Trevisan spürte manchmal deutlich, dass Paula mitten in der Pubertät steckte.
Vorgestern hatte spät abends ein Junge angerufen und sich auf Trevisans Frage, weswegen er anriefe, recht plump auf die Hausaufgaben herausgeredet. Trevisan wusste, dass er log, aber er gab seiner Tochter das Telefon. Als Paula nach beinahe einer Stunde das Telefon zurück in die Basisstation stellte und Trevisan fragte, was es denn noch so spät zu besprechen gab, antwortete Paula: »Es ging um Mathe, Phillip hat da etwas nicht kapiert.«
Bald würde es so weit sein, irgendein fremder junger Mann würde in seinem Flur stehen. Die Jahre vergingen wie im Flug.
Und Angela … Ihre Tage hier waren gezählt. In zwei Monaten würde sie in München ihre neue Arbeitsstelle antreten. Die Wohnung in
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