Das Haus in den Dünen
Er war ihn in letzter Zeit schon ein paar Mal gegangen. Und die Nacht war sein Verbündeter. Er liebte die Dunkelheit, machte sie doch alles und jeden gleich. Nicht die hellen, mondlichtdurchfluteten Nächte – er liebte die dunklen, an denen schwarze Wolken über den Himmel zogen und selbst das Licht der Sterne verdeckten. Sie waren ideal für ihn und für das, was er in solchen Nächten vorhatte. Kein Nachtwanderer, kein zufälliger Spätheimkehrer, niemand war in solchen Nächten unterwegs, diese Nächte gehörten ihm. Er würde in dieser Nacht die Helligkeit und das Feuer in die Dunkelheit bringen. So wie einst Prometheus den Menschen das Feuer gebracht hatte, als sich die Dunkelheit über die Erde gelegt hatte.
Obwohl die griechische Mythologie nichts mit der Botschaft Gottes und seines Propheten Moses zu tun hatte, gefiel ihm die Geschichte. Denn Prometheus lehnte sich gegen den Herrn der Götter auf und hinterging ihn. Zur Strafe wurde er an einen Fels gefesselt und jeden Tag kam der Adler Ethon und fraß an seiner Leber, die sich unter Höllenqualen erneuerte.
Gestern hatte er Swantje wiedergesehen. Sie war ihm auf dem Weg in die Stadt begegnet und sie war alleine gewesen. Er hatte überlegt, ob er anhalten und sie mitnehmen sollte, doch dann hatte er sich anders entschieden und Gas gegeben. Es würde nie mehr so wie früher sein. Er verscheuchte den Gedanken an Swantje. Er hatte anderes zu tun. Und seine ganze Konzentration galt seinem Vorhaben.
Nachdem er den Kanister und den Rucksack aus dem Kofferraum geholt hatte, blickte er sich noch einmal um. Es herrschte Ruhe, nur die Stimmen der Nacht und das Rauschen des Windes drangen zu ihm herüber. Er keuchte, als er den grasbewachsenen Weg entlanglief. Schemenhaft erkannte er seine Umgebung. Schon früher hatte man ihn dafür bewundert, wie gut er sich im Dunkeln zurechtfinden konnte. Es liegt bestimmt daran, dass du überaus große Augen hast, hatte Josef zu ihm gesagt.
Josef war sein einziger Freund gewesen. Jetzt war er tot. Das war eine ganze Weile her, aber er vermisste ihn, den alten und schrulligen Kerl, der ihm so viel über Moses und Gott erzählt hatte.
Der Weg endete an einem Zaun. Er griff in seine Hosentasche und zog den Seitenschneider hervor. Diesmal benutzte er die kleine Taschenlampe, die normalerweise auf dem Sims in der Scheune lag. Die Batterie war alt und der Lichtstrahl schwach. Aber er reichte aus, um ihm den Weg zu weisen. Er schmunzelte, als er sich dem Gebäude näherte. Bevor er die Treppe betrat, schaute er sich noch einmal um.
Die Schwärze umgab ihn und hatte sich wie ein Tarnanzug über ihn gelegt. Er atmete tief ein, bevor er tat, was er tun musste.
*
An diesem Abend wurde es spät. Das Essen mit Angela und Paula fiel ins Wasser. Er rief zu Hause an, entschuldigte sich und versprach, dass sie es gleich morgen Abend nachholen würden.
Eilends trugen Tina, Alex und Trevisan alle Fakten zusammen und formulierten daraus einen Bericht für den Bereitschaftsstaatsanwalt. Trevisan war froh, als er die Stimme von Oberstaatsanwalt Brenner am Telefon hörte. Manchmal kam es vor, dass ein junger Referendar oder ein Staatsanwalt aus einem anderen Ressort Bereitschaftsdienst hatte, der eine Entscheidung gerne hinauszögerte und auf den nächsten Werktag verwies. Ein solcher Anruf war meist vergeblich und kostete außer den Gebühren auch noch die Nerven des Ermittlers.
Brenner ließ sich den Bericht faxen und versprach, sich in einer halben Stunde wieder zu melden. Kurz nach acht rief er zurück.
»Es ist ein bisschen dünn, solange wir die Tatwaffe nicht haben«, sagte Brenner, »aber dennoch reichen mir die Fakten aus. Ein klares Motiv, die Anwesenheit am Tatort und die Vorgeschichte sowie die Tatsache, dass sie mit Waffen umgehen kann, rechtfertigen die Ausschreibung. Also, Trevisan, fahnden Sie nach ihr. Und schalten Sie ruhig auch die Öffentlichkeit ein, wenn es sein muss. Ich bin wahrscheinlich genauso froh wie Sie, wenn wir den Fall abschließen können. Zurzeit ist es wieder wie verrückt. Ich weiß nicht, was mit den Menschen los ist.«
»Ich werde das Nötige veranlassen«, entgegnete Trevisan, bedankte sich und legte auf.
»Was jetzt?«, fragte Tina ungeduldig.
»Ihr macht die Ausschreibung fertig und ich spreche noch einmal mit Zierl.«
»Mordverdacht?«, fragte Alex.
»Ausschreibung zur Festnahme wegen Mordverdacht, richtig«, bestätigte Trevisan. »Damit haben wir weiterreichende Möglichkeiten als
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