Das Haus in den Dünen
heute?«
Trevisan hob abwehrend die Hände. »Ich habe eine Freistellung. Das ist das Privileg des Chefs.«
17
»Es ist, als wenn man eine Nadel im Heuhaufen sucht«, stöhnte Till Schreier. »Jetzt haben wir zwar ein paar Details mehr, aber trotzdem wird kein richtiger Ansatz daraus.«
»Ich hatte mir die Ermittlungsarbeit auch einfacher vorgestellt«, antwortete Anne Jensen, die seit geraumer Zeit das Büro mit Till Schreier teilte. »Wir sitzen ja mehr im Büro, als wir draußen unterwegs sind. Ich dachte immer, unsere Aufgabe ist es, Verbrecher zu fangen.«
»Ach so, du meinst, du spazierst einfach hinaus und fängst dir einen.«
»Wieso nicht?«
»Und wie sehen Verbrecher aus, wenn ich mal fragen darf?«, fragte Till schmunzelnd.
Anne zuckte mit den Schultern.
»Pass auf, es ist ganz einfach«, sagte Till. »Einen Verbrecher erkennt man daran, dass er die Nase mitten im Gesicht und auf der rechten Seite nur einen Arm hat. Außerdem ist er durchschnittlich groß, durchschnittlich schwer und seine Frisur ist eher unauffällig.«
Anne streckte ihm die Zunge heraus.
Till richtete sich in seinem Stuhl auf. »Und jetzt im Ernst, was weißt du über Mord?«
Anne lächelte. »Ist das hier jetzt die Polizeischule?«
»Sagen wir, mündliche Prüfung. Also, Kommissaranwärterin Jensen. Wie ist der Wortlaut von Paragraph 211 StGB?«
Anne runzelte die Stirn. »Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus sonst niederen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken einen Menschen tötet. Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.«
»Sehr gut«, lobte Till. »Aber weißt du auch, was das für uns bei den Ermittlungen bedeutet? Der Paragraph enthält eine Vielzahl von Tatbestandsmerkmalen, die wir mit Leben füllen müssen. Das heißt, wir müssen jedes einzelne Element nachweisen. Vorsatz, Habgier, Heimtücke, all das muss bewiesen werden.«
»Das weiß ich selbst«, entgegnete Anne schnippisch. »Und was soll das jetzt?«
»Ich will dir damit nur erklären, wie wichtig eine gründliche Ermittlungsarbeit ist. Und das fängt schon mit der Frage nach den einzelnen Tatumständen an. Nehmen wir unseren Brandstifter. Er hat ein Gebäude angezündet und dadurch ist ein Mensch umgekommen, der in dem leerstehenden Gebäude nächtigte. Ist er dadurch ein Mörder?«
Anne schüttelte den Kopf.
»Eben«, sagte Till. »Er kann Mörder oder Totschläger sein oder er hat sich des Verbrechens einer Schweren Brandstiftung nach Paragraph 306 c des Strafgesetzbuches schuldig gemacht oder vielleicht kommt er sogar mit fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Brandstiftung davon. Und jeder Täter wird nach seiner Tat und entsprechend seiner Schuld bestraft. Das kann im Falle unseres Feuerteufels bedeuten, dass er vielleicht mit zwei Jahren Haft davonkommt, vielleicht aber auch lebenslänglich hinter Gitter muss. Das alles hängt von unserer Gründlichkeit und unserem Ermittlungsergebnis ab.«
»Ich verstehe nicht …«
»Schau, es ist ganz einfach. Im Prinzip geht es darum, ob er, als er den Brand legte, wusste, dass der Penner sich die alte Lagerhalle zum Schlafen ausgesucht hat und ob es ihm egal war, ob das Opfer noch ungeschoren davonkommt oder am Ende mitsamt der Hütte verbrennt.«
Anne lächelte. »Das leuchtet mir schon ein, aber all das erfahren wir erst, wenn wir ihn haben.«
Till seufzte. »Vielleicht. Aber manchmal gibt es Spuren, die die Motivation und die Vorgehensweise des Täters verraten. Ich hatte mal einen Fall, da sah alles wie ein tragischer Unfall aus. Der Betreiber einer kleinen Autowerkstatt wurde von einer Hebebühne erschlagen, die plötzlich aus unerfindlichen Gründen aus der Verankerung geraten war. Aber wir fanden Spuren am Tatort, die belegten, dass der beste Freund des Opfers ein paar kleine technische Manipulationen an der Hebebühne durchgeführt hatte. Wir stöberten ein wenig herum und fanden heraus, dass der Freund Schulden bei dem Toten hatte und das Geld nicht zurückzahlen konnte. Am Ende wurde aus einem scheinbaren Unfall ein glasklarer Mord. Habgier, Heimtücke und Vorsatz eben. Und der Richter verurteilte den falschen Freund zu lebenslanger Haft. Ich weiß noch, dass ich Tage mit dem Studium der technischen Beschreibung der Hebebühne zugebracht habe, bis ich wusste, wie das Ding funktionierte und wie der Täter seine
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