Das Haus in den Wolken
Hände unter den Strahl und drückte sie dann, kühl und feucht, an ihr Gesicht. Sie hörte, wie die Haustür geöffnet und gleich darauf geschlossen wurde. Sie hatte die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt. Sie atmete in kurzen, heftigen StöÃen. Dann hörte sie Schritte hinter sich. »Pervers nicht«, sagte er leise. »Alles andere vielleicht, aber das nicht.«
Als er sie mit beiden Armen umschlang, schrie sie unterdrückt auf. Mit den Lippen streichelte er ihren Nacken. »Dein Herz schlägt sehr schnell«, ï¬Ã¼sterte er. »Wie das eines Vogels.«
Seine Hand glitt langsam von ihrem Bauch zu ihrem Busen, und sie war Wachs in seinen Händen, als er sie zu sich umdrehte. Dann küsste er sie.
Ruby sah Joe Thursby seit einigen Monaten regelmäÃig. Sie gingen ins Kino oder zu Dichterlesungen in den Hinterzimmern von Pubs, wo der lyrische Wohlklang vom Gegröle aus der Bar untermalt wurde.
Einmal, als er sie nach Hause brachte und sie unten vor der Pension küsste, trat er nach dem Kuss einen kleinen Schritt zurück und betrachtete sie aufmerksam. »Ich frage mich immer, woran du denkst, wenn ich dich küsse«, sagte er. »Ich habe nie das Gefühl, dass du ganz da bist.«
»Oh, ich benütze dich nur, Joe«, gab sie scherzend zurück. »Für meine Geschichten. Weil du so blendend aussiehst, weiÃt du. Ganz der strahlende Held.« Sie gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange und ging ins Haus.
Vor ihrer ersten Nacht mit Joe suchte sie einen Arzt auf und lieà sich ein Pessar anpassen. Sie machte sich einen Spaà daraus, einen Verlobten samt Hochzeit und Flitterwochen in Wales zu erï¬nden, es lenkte sie ein wenig von der Peinlichkeit der Situation ab, als sie sich, den Anweisungen des Arztes folgend, das Pessar einsetzte. Ein paar Tage später verlor sie in Joes möbliertem Zimmer in der Euston Road ihre Unschuld. Hinterher wälzte sie sich auf den Bauch, um Joe zu betrachten, der eine Zigarette rauchte. Sie sah Joe gern an; er war ein so gut aussehender Mann.
Was das Herz begehrt, ihre letzte Kurzgeschichte, war in der Zeitschrift mit den Worten »Von einer unserer beliebtesten Autorinnen, Ruby Chance« untertitelt worden. Manchmal stellte sie sich vor, ihr Vater nähme eine Zeitschrift zur Hand, vielleicht beim Arzt im Wartezimmer, blätterte darin und stieÃe auf ihren Namen. Mit dem Geld, das sie mit ihren Geschichten verdiente, konnte sie neben ihrem eigenen Unterhalt auch den ihrer Mutter bezahlen, sodass sie nun nicht mehr von den Finboroughs abhängig war.
Sie hatte kaum jemandem von ihrer Schriftstellerei erzählt. Immer noch hatte sie Angst, dass der ganze Erfolg mit einem Schlag verpuffen würde, wenn sie darüber sprach; dass sie abgeschossen würde, wenn sie den Kopf über das Parapett streckte. AuÃerdem pï¬egten die Schriftsteller, die sie in der Boheme oder Möchtegern-Boheme von Chelsea und Fitzrovia kannte â die meisten von ihnen ohne ein veröffentlichtes Werk â, mehr das Experimentelle und Skandalöse; sie würden ihren Bemühungen möglicherweise mit Gönnerhaftigkeit oder Geringschätzung begegnen und nicht verstehen, warum sie tat, was sie tat. Nicht dass Geld der einzige Grund dafür war, aber es war doch ein wichtiger Grund. Auf Geld zu pfeifen konnte sie sich in ihrer Position nicht leisten.
Neben Joe und ihrer Mutter wusste nur noch Edward Carrington, ihr Arbeitskollege, von ihrer Schriftstellerei. Edward, fünf Jahre älter als Ruby, lebte mit seiner verwitweten Mutter in einer herrschaftlichen Wohnung in Belgravia. Er war groà und dünn, mit traurigen braunen Augen in einem langen, ausdrucksvollen Gesicht und gehörte zu den Leuten, die am Rand mehrerer verschiedener Cliquen lavieren, ohne irgendwo zum inneren Kreis zu gehören.
Es war halb zwei, und Ruby aà gerade in dem kleinen Aufenthaltsraum ihr Mittagsbrot, als Edward an die Tür kam.
»Hallo, Ruby. Sag mal, weiÃt du, wo Miss Chadwick ist?«
»Sie ist krank. Sie hat sich beim Hockey den Knöchel verstaucht.«
»Du meine Güte«, sagte Edward. Mary Chadwick war eine ausgesprochen voluminöse Person.
»Genau«, stimmte Ruby zu und schob das Heft, in das sie geschrieben hatte, unter ihre Handtasche. »Sie steht vermutlich im Tor.«
Er trat ins Zimmer. »Was ist das?«
»Nichts«, antwortete sie
Weitere Kostenlose Bücher