Das Haus in den Wolken
scharf.
Offensichtlich gekränkt über die Zurückweisung, wandte er sich zum Gehen. Ruby seufzte. »Ich schreibe da etwas«, sagte sie. »Es ist nichts von Bedeutung.«
»Eine Geschichte?«
»Ja. Es geht um eine Büroliebe.«
Er lachte erfreut. »Dann lass ich dich lieber mal weitermachen.«
Der erste Kuss führte direkt ins Bett. Elaines Schönheit, das weiche Ebenmaà ihrer Glieder und der ï¬ieÃende Fall ihres platinblonden Haars, weckte bei Philip etwas wie ehrfürchtige Scheu. Seitdem hatten sie sich beinahe täglich gesehen. Wenn Arbeit, Familie oder Freunde ein Treffen verhinderten, telefonierten sie miteinander, Stunden manchmal. Er schrieb ihr jeden Tag. Bevor er ihr begegnet war, hatte er beim kleinsten Dankschreiben verzweifelt am Federhalter gekaut; jetzt ï¬og seine Feder wie von selbst über das Papier.
Das Wunderbare war, dass es ihr ging wie ihm. Er sah es; er hatte gelernt, die Symptome zu erkennen. Die Sehnsucht nach dem anderen, die Gewissheit, dass der andere einen verstehen würde, ganz gleich, was man sagte. Das Verlangen nach Berührung und Verschmelzung mit dem anderen. Immer noch war ihm ein Rätsel, wie es dazu gekommen, wie aus dem anfänglichen Hass diese starke Zuneigung geworden war. Kleinigkeiten, die nur dem Liebenden aufï¬elen, faszinierten ihn: dass ihre zweite Zehe länger was als ihre groÃe Zehe; dass das WeiÃe ihrer Augen bläulich schimmerte; dass sie den Daumen so weit abbiegen konnte, dass er die Innenseite ihres Handgelenks berührte. Trafen sich ihre Vorlieben, so war ihm das Bestätigung dafür, dass sie füreinander bestimmt waren; gab es gelegentliche Unterschiede im Geschmack, so fand er sie amüsant.
Sie erzählte ihm von ihrer Kindheit, deren Höhepunkte Tagesausï¬Ã¼ge nach Southend und Picknicks im Park gewesen waren; eine Kindheit, die mit der seinen kaum Ãhnlichkeit hatte und die ihm in ihrer Bescheidenheit idyllisch erschien. Keine zwei Generationen zurück waren die Leute aus ihrer Familie noch Landarbeiter in Suffolk gewesen â er stellte sie sich vor, wie sie groà und langgliedrig und hellhaarig mit Sicheln in der Hand auf dem Feld arbeiteten.
Sie hielten ihre Beziehung geheim, es war eine gemeinsame Entscheidung, über die sie sich nicht groà hatten einigen müssen. Sie gingen in Vorstadtkinos und aÃen in unbekannten kleinen Restaurants fern der Stadtmitte. Manchmal lieh sich Philip den Wagen eines Freundes, und sie fuhren aufs Land. Er konnte sich Elaine nicht auf dem Soziussitz des Motorrads vorstellen, mit rotem Gesicht und windzerzaustem Haar. Er wollte sie behüten und beschützen. Aber es war erstaunlich, wie oft einem in einer GroÃstadt wie London Leute über den Weg liefen, die man kannte â ein Mann, mit dem Philip geschäftlich zu tun hatte, in einem Lokal am Kingsway, ein Freund von Elaines Eltern in der U-Bahn. Zu Beginn erhöhte die Heimlichkeit die Spannung, aber nach einer Weile verlor sie allen Reiz für ihn.
An einem kühlen, windigen Sonntag Anfang Juni fuhren sie nach Felixstowe Ferry an der Küste von Suffolk und aÃen dort im Pub am Dorfanger zu Mittag. Im Speisesaal war für einen so abgelegenen kleinen Ort erstaunlich viel Betrieb. Nach dem Essen machten sie einen Spaziergang zur Debenmündung. Philip hatte den Eindruck, dass ungewöhnlich viele Leute unterwegs waren â Angler in Ãlzeug, Segler in Aran-Pullovern und Scharen von tobenden Kindern, die einem ständig in die Quere kamen. Er war nervös und schob immer wieder die Hand in die Tasche, um sich zu vergewissern, dass das Kästchen, das er mitgenommen hatte, noch da war.
Ein einsamer Maler zeichnete die Segelboote und Fischkutter, die auf der graugrünen See schaukelten. Ein Hund sprang in eine Pfütze und schüttelte sein scheckiges Fell, dass die Wassertropfen ï¬ogen. Es war nicht genau das idyllische Plätzchen, das Philip sich erhofft hatte, aber er sagte dennoch: »Wollen wir uns setzen? Da ist eine Bank.«
»Findest du es nicht ein bisschen kalt dafür? Ach, und schau mal, das Schild da oben â« Elaine wies zu einer Holzbude, auf deren Wand in groÃen Lettern »Frische Fische« stand. »Wir könnten doch zum Abendessen einen Fisch mitnehmen.«
Sie gingen weiter zu der Fischbude. Nachdem sie ihren Einkauf gemacht hatten, folgten sie einem FuÃweg durch Schilf und
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