Das Haus in den Wolken
kümmerten sich Caroline und Nanny Duggan, die im Dorf wohnte und schon Gils und Marcusâ Kindermädchen gewesen war, um den Kleinen. Er sollte David Marcus heiÃen, nach Gils Vater und seinem Bruder.
Als Sara ihren Sohn zum ersten Mal im Arm hielt, empfand sie vor allem Bestürzung. David war ein groÃer, kräftiger Junge mit roten Wangen und dunklem Haar und hatte nicht die geringste Ãhnlichkeit mit dem Kind, das sie sich vorgestellt hatte. Ja, sie hatte nicht das Gefühl, als hätte er irgendetwas mit ihr zu tun. Manchmal ertappte sie sich bei der Ãberlegung, ob nicht eine Verwechslung vorlag, ob das Kind nicht versehentlich mit dem einer anderen Familie vertauscht worden war, was natürlich, wie sie wusste, völlig absurd war.
Sie achtete darauf, dass niemand, nicht einmal ihre Mutter, merkte, was in ihr vorging. Die Liebe würde mit der Zeit schon noch kommen, sagte sie sich. Sie empfand jetzt nur so, weil sie so müde war und so lange krank darniedergelegen hatte. Jede Mutter liebte schlieÃlich ihr Kind.
Nach sechs Wochen kehrte Isabel nach England zurück. David war ein unruhiges Kind, das schlecht schlief. Er weinte viel, sowohl tagsüber als auch nachts, und Sara schien nicht in der Lage zu sein, ihn zu beruhigen. Wenn sie ihn badete, kam sie sich tollpatschig und ungeschickt vor. Immer waren Nanny Duggan oder Caroline dabei und beobachteten sie, wenn ihr der von der Seife glitschige Säugling aus den Händen zu gleiten drohte. Das Füttern war jedes Mal ein Albtraum: Sie versuchte, ihn mit guten Worten dazu zu bringen, die Flasche zu nehmen, während er sich brüllend und hochrot im Gesicht dagegen wehrte.
Meistens war sie erleichtert, wenn sie ihn wieder Nanny Duggan oder Caroline in die Arme legen konnte. Einmal, als Nanny Duggan frei hatte und Caroline im Garten arbeitete, wachte David schreiend auf. Sara hielt ihn an ihre Schulter gedrückt und klopfte ihm sachte den Rücken, doch anstatt sich zu beruhigen, machte er sich stocksteif und brüllte immer lauter. Sara war sich einer entsetzlichen Angst bewusst, die, das wusste sie, einem groÃen Mangel in ihr entsprang, einem Mangel an Liebe zu ihrem Sohn, einem Mangel an Verständnis und Instinkt. Sie lief hinaus zu Caroline, die ihre Gartenhandschuhe auszog und ihren Enkel an sich drückte. Innerhalb von Minuten hörte er zu weinen auf, und Sara ging ins Spielezimmer, wo sie stundenlang so bitterlich weinte wie zuvor das Kind.
Allmählich glaubte sie, David könne nicht gesund sein, so viel weinte er. Dr. Kennedy untersuchte ihn. David lief rot an und brüllte, als das Stethoskop seine Brust berührte.
»Er ist kerngesund«, erklärte Dr. Kennedy nach der Untersuchung. »Mir scheint allerdings, dass er zu Koliken neigt. Sie sollten stolz auf ihn sein, Mrs. Vernon.« Einen Moment musterte er sie aufmerksam, dann sagte er: »Sie sollten sich ab und zu die Zeit zu einem kleinen Ausï¬ug nehmen, Mrs. Vernon. Es tut Ihnen nicht gut, Tag und Nacht im Kinderzimmer zu sitzen. Bitten Sie Ihren Mann doch, einen Einkaufsbummel mit Ihnen zu machen.«
Wenn David nichts fehlte, sagte sich Sara, dann musste ihr etwas fehlen. Obwohl sie Gil nichts vom Vorschlag des Arztes erzählte, bot Gil ihr an, in der folgenden Woche mit ihr nach Downpatrick zu fahren. Offensichtlich hatte Dr. Kennedy mit ihm gesprochen. Der Ausï¬ug wurde kein Erfolg. Sara hatte sich nie viel daraus gemacht, von Geschäft zu Geschäft zu ziehen. Bei Tee und Kuchen in einem Café sprach Gil über den Aufsatz, an dem er gerade arbeitete und bei dem es um die Ausrottung der schwächeren Abarten irgendeiner Grassorte ging. Sie verstand wenig von dem, was er erklärte â versuchte gar nicht zu verstehen, weil sie zu müde war â, und war froh, als er, der den Nachmittag offenbar auch anstrengend gefunden hatte, vorschlug, nach Hause zu fahren.
Die Monate vergingen, und Sara verbrachte immer weniger Zeit mit ihrem Sohn. Pï¬ichtschuldig schob sie ihn jeden Morgen im Kinderwagen herum und gab ihm abends seine Flasche, weil Caroline das von ihr zu erwarten schien. Aber eigentlich war David das Kind von Caroline und Nanny Duggan und würde es, so vermutete Sara, auch immer bleiben. Sie hatte kein Vertrauen zu sich selbst, sie wusste, dass sie versagt hatte.
Während ihrer Schwangerschaft und seit Davids Geburt kam ihre GroÃmutter regelmäÃig zu Besuch, und
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