Das Haus in den Wolken
ein Sandwich zu Mittag. Danach besuchte sie einige der Malerateliers in der kleinen Stadt. Schon seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kamen die Maler hierher, angelockt vom klaren, leuchtenden Licht und der mittelmeerblauen See. Im Lauf der Jahre hatte Isabel Zeichnungen und Gemälde gekauft und in Porthglas aufgehängt. Zu ihren Schätzen gehörte ein winzig kleiner Whistler, ein düsteres Seestück auf dem Holzdeckel einer Zigarrenschachtel, das sie, unter allerlei Gerümpel vergraben, in einem Trödelladen entdeckt hatte.
Als sie an einer offenen Ateliertür vorüberging, hörte sie einen schrillen Pï¬ff, und als sie den Kopf drehte, sah sie neben der Tür einen Käï¬g mit einem grünen Papagei, der ihr sehr selbstzufrieden dreinzuschauen schien. Sie sprach einen Moment mit dem Vogel, und als sie bemerkte, dass das Atelier leer war, wagte sie sich, von den an den Wänden gestapelten Bildern angelockt, ein paar Schritte hinein.
Gerade betrachtete sie eine Küstenlandschaft, als sie drauÃen auf der Treppe Schritte hörte. Ein hochgewachsener, langgliedriger Mann mit wildem graugesprenkeltem Haar erschien an der Tür.
»Guten Tag«, sagte Isabel. »Entschuldigen Sie, dass ich einfach so hereingeplatzt bin, aber Ihr Papagei hat mir nachgepï¬ffen, und die Tür war offen.«
»Du bist mir einer, Charlie.« Der Mann zog die Käï¬gtür auf, schob die Hand ins Innere, und der Vogel sprang auf seinen Finger, um dann seinen Arm hinauf bis zu seiner Schulter zu trippeln. »Lädst jeden gleich in den Laden ein, wie?«
Er wandte sich Isabel zu. »Bitte, sehen Sie sich ruhig um. Suchen Sie etwas Bestimmtes? Ich kann Ihnen so ziemlich alles bieten â Seestücke, Hafenszenen, Fischerbooteâ¦Â«
»Ich wollte mich eigentlich nur einmal umsehen.«
»Ach.« Er drückte eine Faust auf die Brust. »Ach, diese Worte drücken dem armen Künstler wahrlich das Herz ab. Ich wollte mich nur umsehen. «
Sie musste lächeln. »Tut mir leid, Sie zu enttäuschen.«
»Kann ich Sie nicht verlocken? Ich nehme Aufträge an â Landschaften, Porträts, ich bin sogar bereit, den SchoÃhund zu malen.«
Isabel lachte. »Mein Mann und ich sind im Augenblick sozusagen âºhundelosâ¹.«
»Jetzt enttäuschen Sie mich wirklich.« Er machte ein tieftrauriges Gesicht. »Sie haben von einem Ehemann gesprochen.«
»Ja, er kommt morgen aus London herunter.«
»Können Sie ihn nicht abwimmeln? Dann könnte ich Sie zum Abendessen einladen und Ihnen die Geschichte meines Lebens erzählen.«
»Das wäre sicher sehr amüsant«, sagte Isabel immer noch lächelnd, »aber es ist leider nicht möglich.«
»Dann kaufen Sie mir zum Trost wenigstens ein Seestück ab.« Er hielt ihr ein Aquarell hin. »Wie wärâs damit? Ich verkaufe es Ihnen für fünf Shilling. Ich an Ihrer Stelle würde es nehmen, sonst sterbe ich womöglich an gebrochenem Herzen, und Sie hätten den Rest Ihres Lebens ein schlechtes Gewissen.«
Sie lachte wieder. »Es ist sehr hübsch. Gut, warum nicht?«
Er rollte das Bild auf und verpackte es in braunes Papier, während Isabel fünf Shilling aus ihrer Geldbörse nahm. Im Bus nach Porthglas musste sie immer wieder lächeln, wenn ihr Blick auf die braune Papierrolle ï¬el. Zu Hause stellte sie das Aquarell auf den Kaminsims und bewunderte die Transparenz des Lichts. Sie las die Signatur rechts unten in der Ecke: »Blaze Penrose«.
Richard kam am späten Nachmittag des folgenden Tags. Isabel war beim Unkrautjäten unter der Lavendelhecke, als sie den Wagen die kleine StraÃe heraufkommen hörte. Sie ging ihm entgegen.
»Wie war die Fahrt?«
»Ganz in Ordnung.« Er nahm seinen Koffer aus dem Kofferraum. Dann sagte er: »Ich habe schlechte Nachrichten, Isabel. Tut mir leid.«
Erschrecken. »Den Kindern â«
»â geht es gut, soviel ich weiÃ. Nicht dass sie die Güte hätten, es mich wissen zu lassen, wenn es nicht so wäre.« Seine Miene veränderte sich. »Isabel, John Temple ist tot.«
»Richard! Nein!« Sie drückte die Hand auf den Mund.
Sie gingen ins Haus. Während Isabel ihm zu trinken einschenkte, erzählte er ihr, dass John Temple in der Nacht zum Donnerstag im Schlaf gestorben war. Als seine Frau Margot am Morgen
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