Das Haus in den Wolken
hatte es nicht geschafft, sich dem Einï¬uss ihrer Eltern rechtzeitig zu entziehen. Philip hatte es auf Konfrontation ankommen lassen, Theo war geï¬ohen, sie aber hatte gefallen wollen. Und dafür hätte sie sich von ihrem Vater beinahe ihr Leben ruinieren lassen.
Anton nahm ihre Hand in die seine. Eine Zeit lang sprachen sie nichts. Dann fragte er: »Was ist dein Mann für ein Mensch, Sara? Warum hast du ihn verlassen? Ich bin sehr froh, dass du es getan hast, aber er muss ja ein Narr sein.«
»Nein, ein Narr ist Gil ganz sicher nicht. Er ist sehr intelligent und sehr belesen. Nur von Menschen versteht er nichts.« Sie seufzte. »Aber wir haben beide ziemlich viele Fehler gemacht.«
»Und dein Kind â dein Sohn?«
»Ich hatte nie das Gefühl, dass David zu mir gehört. Meine Schwiegermutter und das Kindermädchen haben sich um ihn gekümmert, nicht ich. Bei mir hat er sich irgendwie nicht wohlgefühlt. Dabei dachte ich früher immer, ich werde einmal eine gute Mutter. Dass ich mein Kind verlassen habe â das ist furchtbar, nicht wahr? Zu was für einer Frau macht mich das?«
»Vielleicht zu einer, die ihr Bestes gegeben hat?«, sagte er liebevoll.
»Zu einer, die versagt hat«, entgegnete sie bitter. »Zu einer Frau, die es nicht einmal fertiggebracht hat, was selbst die ärmste und einfachste Frau mit Leichtigkeit tut. Ich konnte ihn nicht lieben, Anton.« Sie blickte wieder zum Fluss hinaus. »Obwohl ich vielleicht doch begonnen hatte, ihn zu lieben, als ich aus Vernon Court fortgegangen bin. Aber da war es zu spät. Ich schreibe ihm regelmäÃig â ich male ihm Bilder â und ich reise, so oft ich kann, nach Irland. Im Sommer hat Caroline, meine Schwiegermutter, ihn nach London gebracht, zu meinen Eltern. Meine Mutter liebt ihn abgöttisch.« Sie runzelte die Stirn. »Jetzt, wo ich nicht mehr mit ihm unter einem Dach lebe, kann ich sehen, was für ein entzückender kleiner Junge er ist. So lieb und so komisch manchmal. Er hat etwas rührend Ernsthaftes. Wahrscheinlich hat er das von Gil; ich glaube, das war das, was ich so anziehend an ihm fand. Wir Finboroughs nehmen das Leben nicht gern ernst. Wir sind frivol und schnodderig, wir spotten und necken und streiten â alles, nur nicht ernst sein. Es würde mich interessieren, was dahintersteckt.« Sie lächelte traurig. »Als ich in Vernon Court lebte, da war es, als wäre ich ein ungewöhnliches Dekorationsstück, das Gil aus einem Impuls heraus gekauft hatte. Und zu Hause wusste er dann nicht mehr so recht, was er damit anfangen sollte.«
»Du bist ja auch wirklich sehr dekorativ.« Als er sie küsste, schloss sie die Augen, berauscht von seiner Nähe. »Ich kann es nicht fassen, dass du wirklich bei mir bist, Sara«, murmelte er. »Ich kann es nicht glauben, dass wir hier sind. Es ist wie ein Traum. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben. Das musst du mir glauben. Niemals. Und alles wird gut. Das weià ich.« Dann sagte er: »Peter Curthoys hat mir ein Zimmer in seinem Haus zur Verfügung gestellt. Er und Melissa sind über das Wochenende verreist. Willst du nicht mit zu mir kommen?«
Ob das Zusammensein mit einem Mann langweilig, unangenehm oder ekstatisch war, hing, wie Sara in dieser Nacht entdeckte, ganz davon ab, wer der Mann war.
Als sie nach dem ersten Mal in seinen Armen lag, sagte sie beinahe erstaunt: »Das war richtig schön.«
»Hast du das nicht erwartet?«
»Wenn ich mit Gil im Bett war, habe ich immer an das Buch gedacht, das ich gerade las, oder ob die Pferde beschlagen werden müssen.«
Er lachte. »Sara, du bist wirklich komisch.« Dann nahm er sie von Neuem in die Arme.
In den frühen Morgenstunden erzählte er ihr, was ihm zugestoÃen war. Nach dem Anschluss hatten es die Nazis darauf angelegt, alle zu vernichten, die ihnen verhasst waren â die Juden, die Sozialisten, die Katholiken. Die körperlichen Entbehrungen â der Mangel an Nahrung und die Schläge â waren schwer auszuhalten gewesen, aber Sara begriff, dass es die Gefangenschaft in der ï¬nsteren, mit Menschen vollgestopften Zelle war, die ihn beinahe zerstört hatte.
Eines Nachts hatten Anton und ein Dutzend anderer Gefangener verlegt werden sollen. Der Wagen, in dem sie unterwegs waren, musste wegen Unruhen auf der StraÃe anhalten. In dem Durcheinander gelang einigen
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