Das Haus in den Wolken
»Ich brauche das Geld, weiÃt du â von irgendwas muss der Mensch ja leben, und das ist heutzutage verdammt schwierig. Noch mal fünfzig Pfund sollten reichen.«
»Und wenn ich Ihnen jetzt noch einmal Geld gebe, was dann? Kommen Sie dann in ein paar Wochen oder Monaten wieder und verlangen mehr?«
Alï¬e zog sein Zigarettenetui heraus und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Du musst eben hoffen, dass es nicht so weit kommt, nicht wahr, Isabel?« Er klopfte eine Zigarette am Etui ab. »In zwei Tagen, bei der Bank im Park von Hampstead, um sechs Uhr. Und komm nicht zu spät.«
In der Hoffnung, keinen Bekannten zu treffen, ging Isabel in ein Geschäft in Hatton Garden und verkaufte zwei alte, altmodische Broschen. Noch ein geheimes Treffen, wie mit einem Geliebten. Es war ein kalter Abend, die frostige Luft schnitt ihr ins Gesicht. Als sie Alï¬e das Geld übergab, berührten seine Finger ï¬Ã¼chtig die ihren. Ein Schauder überlief sie. Sie wusste, dass er sie nie in Ruhe lassen würde.
Mit einer Freundin besuchte sie ein Klavierkonzert in der Wigmore Hall, Myra Hess spielte Schumann. Isabel schloss die Augen, lieà die Musik auf sich wirken und dachte daran, was sie durch ihre Heirat alles gewonnen hatte: die kulturelle und geistige Bereicherung, nach der sie sich als junge Frau so sehr gesehnt hatte; das sorglose, von materieller Not unbelastete Leben, das Reichtum mit sich brachte; ein Zuhause, das sie nach ihren eigenen Vorstellungen und Interessen gestalten konnte; und natürlich, das Wichtigste von allem, ihre Familie. All das konnte Alï¬e Broughton zerstören, all das konnte sie verlieren.
Welche Möglichkeiten hatte sie? Sie konnte ihm weiterhin Geld geben, stets in der Furcht, dennoch von ihm verraten zu werden. Bei jedem Klopfen an der Tür, bei jedem Schritt auf dem Gartenweg würde sie nervös zusammenfahren und sich immer entwürdigendere Lügen und Listen ausdenken müssen, um die von ihm geforderten Summen aufzubringen. Und die Forderungen würden steigen, daran hegte sie keinen Zweifel.
Oder sie konnte sich weigern zu zahlen und es darauf ankommen lassen. Alï¬e würde sich vermutlich an Richard wenden â aber vielleicht würde er auch davor zurückschrecken, so weit zu gehen. Seine Drohung, ihr Geheimnis an eine Zeitung weiterzugeben, hatte sie bis ins Innerste erschreckt. Ja, das würde er tun, dachte sie, das würde genau zu ihm passen. Er würde sie der öffentlichen Schande preisgeben; doch viel schlimmer war, dass Richard dann auf diese Weise von ihrer Vergangenheit erfahren würde.
Oder sie konnte Richard die Wahrheit sagen. Wie würde er reagieren? Was würde er sagen? Alï¬e Broughton, das Kind â all das lag über dreiÃig Jahre zurück. Es war eine alte Geschichte, die sie längst hinter sich gelassen hatte; auch wenn man solche Dinge natürlich nie vollkommen hinter sich lieÃ. Die Schatten umgaben einen immer, lauerten im Verborgenen â und jetzt hatte einer dieser Schatten in Person von Alï¬e Broughton Gestalt angenommen und verfolgte sie. Und es gab noch einen anderen Schatten, an den zu denken sie seit Jahren vermieden hatte.
Würde Richard es verstehen? Von dem Richard mit dem guten Herzen, dem Richard, den sie am meisten liebte, konnte sie vielleicht Verständnis erwarten. SchlieÃlich hatte er ihr an jenem Tag vor langer Zeit, als sie seinen Heiratsantrag annahm, gesagt, dass ihre Vergangenheit ihn nichts anginge. Wenn Sie mich heiraten, können Sie neu anfangen. Sie bekommen einen neuen Namen, ein neues Heim in einer neuen Stadt. Sie können alles, was Sie erlitten haben, hinter sich lassen.
Aber er hatte sich verändert, sie beide hatten sich verändert. Ihre Beziehung hatte sich nie vollständig davon erholt, dass Philip tatsächlich Elaine Davenport geheiratet hatte. Sie mieden das Thema, denn wenn sie es anschneiden würden, müssten sie in zu vielen offenen Wunden stochern: Ihr eigener Schmerz und ihre Wut darüber, dass Richard sich zu einer anderen Frau hingezogen gefühlt hatte, würden wieder aufï¬ammen; Richard müsste sich der Erkenntnis stellen, dass er zum ersten Mal im Leben ausgestochen worden war. Und auch noch vom eigenen Sohn. Sein Thron wackelte, drohte gar umzustürzen. In letzter Zeit grübelte Richard oft vor sich hin, war jähzornig â und vor allem so unbeugsam. Und die
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