Das Haus in den Wolken
der Sonne, deren Wärme kaum in seinen Kerker hineinreichte, und an das beruhigende Summen von Leben und Betriebsamkeit.
Das nächste Mal wagte er einen etwas gröÃeren Ausï¬ug, um dem Keller, in dem die Luft mit der zunehmenden Sommerhitze immer stickiger wurde, eine Weile zu entkommen. Sara sagte er nichts, er wollte sie nicht beunruhigen. Manchmal ging er auch nachts aus. Doch bei Tag schien es ihm sicherer zu sein â mehr Menschen auf den StraÃen, dichtere Mengen, in denen man untertauchen konnte. Vom städtischen Leben umgeben, begann er, sich wieder als Mensch zu fühlen. Er war heimatlos, auf der Flucht, doch jetzt fühlte er sich wieder zugehörig, wenn auch nur am Rande.
Aber die Angst blieb, und wenn er in die Charrington Street einbog, erschien ihm jeder Passant bedrohlich. Der Soldat, der dort an dem Laternenpfahl lehnte und sich eine Zigarette anzündete, beobachtete der ihn? Und das Motorrad, das so langsam auf der StraÃe dahinkroch, folgte ihm das? Manchmal erblickte er das Spiegelbild seines Gesichts in einem Schaufenster und erkannte in seinen Augen den gehetzten Blick der Gejagten. Seine Kleidung wirkte ungepï¬egt, obwohl Sara seine Sachen regelmäÃig mitnahm, um sie zu waschen und zu bügeln. Aber es war nicht so leicht, den Schein zu wahren, wenn man zum Rasieren nur einen Handspiegel hatte und den Rasierpinsel in einer Blechschüssel mit Regenwasser ausspülen musste.
Eines Morgens ging er in den Regentâs Park. Der wolkenlose Himmel war blau wie am Mittelmeer. Er setzte sich auf eine Bank, zog ein Buch heraus und dachte an Alpenwiesen und Urlaubstage mit seinem Vater. An leuchtende Blumen im hohen Gras und spielende Schmetterlinge. Es war warm, aber nicht so drückend wie in London.
»Puh, das ist vielleicht eine Hitze.«
Erstaunt drehte er den Kopf. Eine junge Frau hatte sich neben ihn gesetzt. Sie trug ein rot-weià gemustertes Sommerkleid, und ihr braunes Haar war über der Stirn zu einer Tolle gesteckt. Sie fächelte sich das Gesicht mit einer Zeitung.
»Ja«, pï¬ichtete er ihr bei, »es ist sehr warm.«
Sie bot ihm eine Zigarette an. Er schüttelte den Kopf. Sie zündete sich selbst eine an. »Im Radio haben sie gesagt, dass es über sechsundzwanzig Grad wird. Ich magâs heiÃ. Und Sie?«
»Sehr, ja.« Er fand, dass er gehemmt klang. In den Wochen im Keller hatte er das leichte Gespräch verlernt.
Sie schaute ihm über die Schulter. »Was lesen Sie?«
»Lawrence.« Er zeigte ihr den Einband des Buchs. »Es ist sehr interessant«, sagte er bemüht.
Sie lachte. »Der war ganz schön unanständig, oder?« Dann musterte sie ihn stirnrunzelnd und sagte: »Sie sind kein Engländer, stimmtâs?«
Sein Herz raste plötzlich; er konnte nicht sprechen. Sie sah ihn neugierig an â argwöhnisch, fand er. »Woher kommen Sie?«
»Aus Frankreich«, antwortete er. »Ich bin ein französischer poilu . Ich bin nach Dünkirchen hierhergekommen.«
»Sie sehen gar nicht aus wie ein Franzose. Meine Schwester lebt in Dover; sie hat gesagt, die sind alle dunkel.«
Er stand auf. »Ich muss gehen. Auf Wiedersehen, mademoiselle .« Er spürte ihren Blick im Rücken, als er durchs Gras davonging.
Schweià kitzelte unter seinem Kragen, und sein Mund war trocken, als er aus dem Park auf die StraÃe trat. Er hätte gern etwas getrunken, aber er traute sich in keines der Cafés, an denen er vorüberkam. Am liebsten wäre er gerannt, aber er wusste, dass er sich zusammennehmen musste. Er sehnte sich nur zurück in die schützende Dunkelheit des Kellers. Den ganzen Rückweg wartete er darauf, die Hand auf der Schulter zu spüren, den Uniformierten auf sich zutreten zu sehen.
Nichts geschah. Er entspannte sich ein wenig. Sie war nur eine hübsche junge Frau gewesen, die ein wenig reden wollte. Nichts, wovor man Angst haben musste.
Erleichterung, als er in die Charrington Street einbog. Prüfend sah er sich um, dann lief er die schmale Gasse entlang zum Lagerhaus. Als er die Treppe hinunterrannte und die Tür öffnete, fühlte er sich beschwingt und glücklich, in Sicherheit zu sein. Er atmete auf und spürte, wie die Spannung in ihm sich löste.
Schritte in der Dunkelheit. Anton blickte auf. Zwei Männer kamen auf ihn zu. »Anton Wolff?«, fragte der eine.
Auf Edwards Schreibtisch im Büro wartete
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